Verhüllte Nacktheit: Athleten, Götter, Heilige

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Zwei antike Olympioniken hätten nur verhüllt in einer Ausstellung in Doha präsentiert werden dürfen. Bis zum Ersten Weltkrieg war es auch im Westen Usus, marmorne Genitalien mit Blech, Stuck oder Papier zu bedecken.

Ab zurück in die Kiste hieß es für drei antike Statuen, die von Griechenland an die große Olympia-Ausstellung in Doha, der Hauptstadt von Katar, verliehen wurden. Man sah, dass sie nackt waren, zumindest sind das zwei der mittlerweile, ein Monat nach der Ausstellungseröffnung, in ihre Heimat zurückgesandten Skulpturen – ein Athlet aus der klassischen griechischen, eine Kopie aus der römischen Zeit. Welche Sensibilitäten des lokalen Anstands bzw. welchen „Fluss der Ausstellungsgestaltung“, so eine Museumssprecherin, die dritte heimgeschickte Skulptur störte, bleibt geheimnisvoll. Die drei Reizworte Islam, Nacktheit und Zensur reichten, um dieser Tage für Schlagzeilen im Westen zu sorgen.

Wobei der eigentliche Skandal für Kunsthistoriker und Restauratoren vor allem darin besteht, dass die Kunstwerke überhaupt auf diese aussichtslose, unnötige, strapaziöse Reise geschickt wurden. Schließlich musste für die Beteiligten aller Seiten klar gewesen sein, dass gerade in dem streng islamisch geprägten, dem orthodoxen sunnitisch-wahhabitischen Islam anhängenden Emirat nackte (männliche) Genitalien nicht öffentlich ausgestellt werden können.

Bilder von Männerunterhosen verboten

Es hätte gereicht, sich die Zensurfälle bewusst zu machen, von denen aus der liberaleren Nachbarschaft berichtet wird, etwa von der Kunstmesse Art Dubai, wo vor Eröffnung die Polizei aus den Galeriekojen alles entfernen lässt, was Anstoß erregen könnte, politisch oder moralisch, zum Beispiel auch nur angedeutete Darstellungen halb nackter Frauen oder Männerunterhosen. Stimmt die Geschichte, wie sie ein Sprecher des griechischen Kulturministeriums jetzt erzählte, dürfte das Sportmuseum in Katar, das übrigens ein Münchner Historiker leitet, anfangs allerdings sehr wohl vorgehabt haben, die gestählten Männerkörper zu zeigen, verhüllt mit schwarzen Gewändern. Wozu die Griechen nicht zustimmten.

Interessant ist die Genese dieser Ausstellung, die von wirtschaftlichen Faktoren geprägt gewesen war, was zu heftiger Kritik führte: Der antike Teil der Ausstellung war voriges Jahr schon im Gropius-Bau in Berlin zu sehen, wo man auf den zweiten Teil, der bis ins Heute führt, verzichtete. Man mutmaßte, dass der Geldgeber und Kooperationspartner Katar dabei zu stark hätte mitreden wollen. Auf Investitionen aus Katar hofft auch Griechenland, über eine Milliarde Euro wurden dem Krisenland vom Emirat versprochen. Dementsprechend enthusiastisch ist die dreimonatige Olympia-Ausstellung als Ausdruck einer „Brücke der Freundschaft“ zwischen den beiden Ländern gefeiert worden.

Wie man die Geschichte der Olympischen Spiele anhand von 1200 Exponaten, allerdings völlig ohne das Thema Nacktheit, erzählt, klingt schon wieder spannend. Wobei historisch nicht ganz geklärt ist, warum es überhaupt zum Credo der Nacktheit bei den Olympioniken kam. 720 v. Chr. war der bis dato übliche Lendenschurz in allen Disziplinen außer dem Pferderennen abgeschafft worden. Eine Legende besagt, dass ein Läufer, der den Schurz verloren hatte, den Sieg errang, und man daraufhin glaubte, ohne schneller zu sein. Eine andere, dass ein Läufer über den verlorenen Schurz gestolpert sei. Eine dritte, dass sich die Spartaner durchsetzten, die schon immer nackt Sport betrieben hatten, übrigens auch die Damen (wenn auch nicht gemeinsam mit den Männern). Man stelle sich dieses Detail im Sportmuseum Doha vor.

Wobei man mit allzu großem Spott vorsichtig sein sollte. So lange ist es noch nicht her, dass auch in westlichen Museen antike Statuen das berühmte Feigenblatt verpasst bekamen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg fielen die letzten genitalen Bekränzungen flächendeckend. Bis dahin mussten sich Museumswärter noch mit Spaßvögeln herumschlagen, die das blecherne oder gipserne Relikt unerlaubt lüfteten oder gar entwendeten, manche Aufseher waren dazu angehalten, die fehlenden Bedeckungen aus Papier nachzuschneiden.

Venus im Stuck, Petrus in „Hosen“

Immer wieder wurden gerade Statuen aus der Antike, in der ein perfekter nackter Körper auf Göttlichkeit hinweisen sollte und in der Phalli Glückssymbole waren, in späteren Epochen beschädigt. Der römische Prinz Giovanni Battista Pamphili verpasste den Venusstatuen der Antikensammlung seines Vaters um 1670 Gewänder aus Stuck. Die Bourbonen ließen in der Neapolitaner Sammlung die Geschlechtsteile der Skulpturen gleich abschlagen. Und ungefähr das Erste, was die Kirche nach Michelangelos Tod beauftragte, war die Übermalung seiner nackten Figuren an der Decke der Sixtinischen Kapelle. Sein Schüler Daniele da Volterra musste an die Gemächte, er fasste dafür den Namen „Hosenmaler“ aus. Heute sind die meisten dieser Übermalungen wieder entfernt, nur Petrus hat noch falsche Kleider an.

1759 machte der deutsche Antikenpapst Johann Joachim Winckelmann in einem Brief aus Rom kein Hehl aus seiner Meinung zu der Schamhaftigkeit, die rund um ihn grassierte: „Diese Woche wird man dem Apollo, dem Laokoon und den übrigen Statuen im Belvedere ein Blech vor den Schwanz hängen vermittelst eines Drahts um die Hüften (...). Eine eselsmäßigere Regierung ist kaum in Rom gewesen, wie die itzige ist.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2013)

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