Der Oscar spielt sich selbst: Eine Tragödie

Oscar spielt sich selbst
Oscar spielt sich selbst(c) AP (Richard Vogel)
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Es gibt einen Film namens "The Oscar". Er ist ein Desaster. Zur 84.Oscar-Gala: Eine Geschichte der Darstellung der Academy Awards in Hollywood-Filmen. Die Bilanz ist niederschmetternd.

Hollywood hat einen Film gedreht, der schlicht „The Oscar“ heißt. Beim Erscheinen 1966 reagierten Publikum und Kritik desaströs. Heute ist er fast vergessen. Doch nur fast: Als einer der „schlechtesten Filme“ ist er natürlich auch Kult; ein Camp-Klassiker wie die berühmtere Kitschorgie „Das Tal der Puppen“ – beides in Traumfabrik-Klischees schwelgende Filme über von Hollywood zerstörte Leben, beide nach Romanen im Stil der Erfolgsreißer von Harold Robbins: mit sex and crimeaufgefettete Seifenopern über ach so leere Leben in der ach so reizvollen Glamourwelt, samt üppiger Ausstattung, schundiger Wendungen und peinlicher Dialoge auf die Leinwand gehievt.

Der deutsche Titel von „The Oscar“ gibt die moralinsaure Stoßrichtung vor: „...denn keiner ist ohne Schuld“. Keiner ist in dem Fall vor allem Frankie Fane, ein Schauspieler auf dem absteigenden Ast, der nach unerwarteter Oscar-Nominierung auf Rettung durch den Sieg hofft. Der Film beginnt in medias res, Galastimmung inhalierend. Mit bereitwilliger Unterstützung der Academy of Motion Picture Arts and Sciences wurde die Awardshow im Originalgebäude nachgestellt und von Oscar-Dauermoderator Bob Hope präsentiert. Die Außenszenen mit der Ankunft der Stars kamen von der Verleihung 1964. Eine Starparade stolziert durch Nebenrollen und Gastauftritte – das Flair berauschte offenbar sogar die Macher so stark, dass ihnen die unfreiwillige Komik ihres Films entging.

Durch Intrigen schaffte es Frankie Fane (Stephen Boyd, angenehm eintönig inmitten chargierender Kollegen), er sitzt nun siegesgewiss im Auditorium: Zeit für eine schier endlose Rückblende, um in wenig überzeugenden, aber heftig übertriebenen Szenen die Vorgeschichte des skrupellosen Frankie zu erzählen. Sogar Mord ist ihm auf dem Weg zum Oscar recht. Im Finale geht es zurück zur Gala: Der Umschlag wird geöffnet – Frankie springt auf, noch bevor der Sieger verkündet ist... die Verlautbarung ist auch schon die Schlusspointe. Ohne zu viel zu verraten: Ruhmgier macht offenbar nicht glücklich. Die erste Lektion des Oscar-Kinos ist eindeutig: Der Oscar macht böse.


Die Oscar-Klassiker.
Dabei hätte Hollywoods Repräsentation seines wichtigsten Preises vielversprechender begonnen, mit einem Schlüsseltext der Traumfabrik-Selbstbespiegelung. 1937, acht Jahre nach der Erfindung der Oscars zur Eigenwerbung, schilderte das große Technicolor-Melodram „A Star Is Born“ den schauspielerischen Aufstieg eines Provinzmädels (Janet Gaynor), während es mit ihrem Gatten bergab geht: Norman Maine (Frederic March), einst Superstar, im Filmverlauf zusehends alkoholischer Depression verfallen. Im entscheidenden Moment platzt er in die Vergabe des Darstellerinnen-Oscars an seine Frau. Damals verlief die Gala (tatsächlich) bescheidener, wirkt aber genauso glamourös. Passenderweise formuliert die Geehrte den Dank elegant knapp: „Es gibt nur zwei Worte, die wirklich etwas bedeuten: Thank you.“ Da wankt der besoffene Gatte herein, macht vor aller Augen eine Szene: Der Oscar sei bedeutungsloser Nippes, er fordere einen Preis für den schlechtesten Darsteller! Für sich.

Die gleichnamige Zweitverfilmung von 1954 präsentiert die Oscars hingegen gleich zu Beginn überlebensgroß als Inbegriff der Hollywood-Hochblüte: Bei der Gala lernt eine junge Sängerin (Judy Garland) den angeheitert über die Stränge schlagenden Norman Maine (James Mason) kennen – und bald lieben. Am Höhepunkt des prächtigen Technicolor-Musicals schließt sich die Klammer mit einer pompöseren Version der Urszene. Schon Bugs Bunny hatte 1944 mithilfe von Gala-Bildern des ersten „A Star Is Born“ im famosen Animationsfilm „What's Cookin', Doc?“ vergeblich den Academy Award an sich zu reißen versucht.

Und Bette Davis spielte 1952 in „The Star“ eine ehemalige Oscar-Gewinnerin, die verzweifelt gegen das Ende ihrer Karriere ankämpft, wenn sie sich nicht gerade das bessere Wissen von der Seele trinkt. Der Höhepunkt ist eine alkoholisierte Autofahrt mit ihrem Academy Award: „Komm schon, Oscar! Besaufen wir uns zusammen!“ Der Oscar spielt sich übrigens selbst: Die zweimalige Siegerin Davis stellte einen eigenen zur Verfügung. Die zweite Lektion: Der Oscar macht nicht glücklich.


Die Oscar-Heuchelei. Das erfährt auch eine britische Schauspielerin (Maggie Smith) samt Gatten (Michael Caine) in einer Episode der Neil-Simon-Verfilmung „California Suite“ (1978). Sie ist als Nominierte angereist – die Zeremonie sieht man nicht, aber das Rundherum ist niederschmetternd. Ehesticheleien werden vom Lampenfieber befeuert: „Wie soll man am Nachmittag um fünf gut aussehen?“, sagt sie vor der Gala nach einem Blick in den Spiegel. Nach der Niederlage und – auch da ist vom Oscar-Kino vielleicht etwas zu lernen – mehr alkoholischen Ausfällen fasst der Ehemann die Lektion zusammen: „Hast du je in deinem Leben eine größere Ansammlung von Heuchlern unter einem Dach gesehen?“ Bestätigt wurde das 2002 im Zeichen „der Wunder moderner Technik“in der, wie die Titelschreibung verrät, bemüht originellen Satire „S1m0ne“. Denn Simone ist ein virtuelles Wesen: Ein bedrängter Regisseur (Al Pacino) findet in der Not die perfekte Darstellerin – ein Ideal aus Bits und Bytes, das die Publikumsherzen erobert sowie beim Oscar doppelt triumphiert. Auch Maggie Smith gewann einen Oscar für ihr Porträt einer Oscar-Verliererin.


Die würdigste Gala. Die wohl überraschendste Oscar-Gala erlebt daheim vor dem Fernseher ein von Kevin Kline gespielter Lehrer in der Komödie „In & Out“ (1997), als ihn ein Exschüler bei der Oscar-Dankesrede zu seiner eigenen Überraschung als schwul outet. Aber die würdigste Oscar-Gala des Kinos bietet „Die nackte Kanone 331/3“ (1994): Katastrophencop Frank Drebin (Leslie Nielsen) muss da einen Anschlag verhindern, wo es die USA am schwersten trifft: eine Bombe ist in einem der Umschläge bei den 66.Academy Awards! Das Slapstickchaos, das Drebins beherztes Eingreifen auslöst, spottet jeder Beschreibung und überzeugt als Brachialdemontage aller Oscar-bezogenen Hollywood-Eitelkeiten – von Handgreiflichkeiten mit Präsentatorin Raquel Welch bis zum Ausschnitt aus Richard Attenboroughs angeblichem Siegerfilm, einem Mutter-Teresa-Muscial, dessen singende und tanzende Heldin in ihrem Enthusiasmus einem Schützling die Krücke wegreißt. Die nächste Lektion des Oscar-Kinos: Sieger ist, wer die Gala überlebt.


Das Oscar-Desaster. Drebins Oscar-Amoklauf zerstört auch eine Musikeinlage von Pia Zadora: Da zeigt sich erstaunliches historisches Bewusstsein. Denn der geheime Oscar-Schlüsselfilm ist „The Lonely Lady“ (1983) mit Zadora als naivem Mädchen, das von Hollywood-Ruhm als Autorin träumt. Im Prinzip ist es derselbe Film wie „The Oscar“ (und ebenso kultig schlecht), nur nach einem Buch von Harold Robbins höchstselbst – und mit der Hauptfigur als Opfer statt als Bösewicht. Mangels Academy-Akzeptanz musste man auch auf den Oscar verzichten: Zu Filmbeginn werden bloß „The Awards“ verliehen. Wieder erzählt eine lang(atmig)e Rückblende die Vorgeschichte, bevor man zum Gala-Showdown zurückkehrt: Die geschändete Drehbuchschreiberin siegt und hält die einzige Oscar-Dankesrede der Filmgeschichte, die einen Buh-Orkan hervorruft. Proper dankt sie Regisseur, Produzenten und Hauptdarsteller, „die alle nicht soviel gegeben haben, wie sie nahmen“. Der Preis des Erfolgs sei sehr hoch in diesem Geschäft, vor allem für Frauen: „I suppose I'm not the only one who had to fuck her way to the top.“ Vielleicht hat die Academy daher nicht kooperiert, oder man erinnerte sich noch an das Debakel von „The Oscar“. Letzteres wäre tröstlich, weil es eine letzte Oscar-Lektion wider besseres Wissen böte: Die Academy ist doch lernfähig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2012)

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