"Viele glauben, studieren sei nur was für reiche Leute"

Viele glauben reiche Leute
Viele glauben reiche Leute(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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"Arbeiterkind.de" unterstützt seit vier Jahren Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien beim Studienbeginn. Die Gründerin im DiePresse.com-Gespräch über Klassenbewusstsein und Aufstiegswillen.

DiePresse.com: Wer sind die Leute, die sich an "arbeiterkind.de" wenden?

Katja Urbatsch:Das sind vor allem Schüler, in deren Famlie noch niemand studiert hat. Man muss erst mal drauf kommen, dass man auch was anderes machen kann als die Eltern. Man muss Perspektiven aufzeigen und Mut machen, diesen Weg zu gehen. In Deutschland wenden wir uns hauptsächlich an 15- bis 16-jährige. In Österreich haben wir bemerkt, dass wir früher anfangen müssen - da ist ja mit 13 bzw. 14 eine Entscheidung zu treffen, die sehr wichtig ist. Wir wenden uns aber auch an die Eltern. Es gibt viele, die wollen, dass ihr Kind studiert - dann aber überfordert sind. Sie haben keine Infos zum Studium und befürchten, ihren Kindern nicht helfen zu können. Und natürlich wenden wir uns an die Studenten, für die das Leben an der Uni eine ganz neue Welt ist. Die haben keine Vorbilder und keine Hilfe von zu Hause. Diese Lücke füllt "arbeiterkind.de".

Sind das hauptsächlich Deutsche oder auch Schüler, die Migrationshintergrund haben?

Katja Urbatsch: Beides, das ist gemischt. Aber der Schwerpunkt liegt auf Leuten, aus deren Familie noch keiner studiert hat. Und da gibt es nochmal Unterschiede. Viele Schüler, die Migrationshintergrund haben, kommen trotzdem aus Akademiker-Familien, auch wenn der Titel der Eltern oft nicht anerkannt ist. Die werden sehr stark gefördert, dort wird Bildung wert geschätzt.

Wie sehen sich die Leute selbst? Gibt es bei ihnen so etwas wie ein Klassenbewusstsein?

Katja Urbatsch: Der Name unserer Initiative "Arbeiterkind.de" ist provokativ, denn viele sagen, das "Arbeiterkind" gibt es im engeren soziologischen Sinne nicht mehr. Aber es gibt viele, die sich als "Arbeiterkinder" fühlen, bzw. das Gefühl haben, nicht dazu zu gehören. Die merken, dass es da einen Unterschied gibt und sie fühlen sich minderwertiger. Sie ordnen sich in der Gesellschaft tiefer ein als andere. Das Selbstbewusstsein in dieser Gruppe ist sehr gering. Viele glauben, studieren sei nur was für reiche Leute.

Das heißt, es passiert auch eine Abgrenzung?

Katja Urbatsch: Die wollen sich tatsächlich ein bisschen abgrenzen. Da gibt es Identitätskonflikte, die hab ich selbst auch ein wenig. Ich gehöre nicht mehr wirklich zu den Arbeiterkindern - aber in der akademischen Welt, fühle ich mich auch nicht zuhause. Deswegen haben wir auch eine Communitiy dazwischen geründet in der wir uns zuhause fühlen. Viele haben auch das Gefühl, dass die Gesellschaft gar nicht möchte, dass diese Leute da hoch kommen. Mut machen ist etwas, was in der deutschen Kultur fehlt. Hier sagt man eher "Ne, du schaffst es nicht". Und genau da kommen wir und sagen, "Du schaffst das".

Heißt das nicht auch, dass die Bildungselite unter sich bleiben möchte?

Katja Urbatsch: Nein, das Gefühl habe ich nicht. Aber die konzentrieren sich einfach nicht auf die Anderen. Die möchten sicher stellen, dass ihre Kinder profitieren. Das Problem ist, dass das Bildungsbürgertum mehr Kraft dafür aufwendet nicht abzusteigen, als unsere Klientel dafür, aufzusteigen. Das heißt der Aufstiegswille von unseren Leuten ist nicht groß genug.

Woher kommen dabei die größten Widerstände? Aus der eigenen Familie? Oder von der Politik?

Katja Urbatsch: Das ist bei jedem anders gelagert und fängt bei der Einstellung, die die Familie zu Bildung hat, an. Fördert die das oder nicht? Natürlich spielt die finanzielle Situation eine große Rolle, es gibt sehr große Ängste vor der Finanzierung eines Studiums. Zustäzlich sind die Berufsperspektiven nach einem Studium nicht klar. Ein weiteres Problem ist, dass andere, denen es besser geht, kein Bewusstsein dafür haben, wo es hakt.

Wo hakt es denn im Alltag konkret?

Katja Urbatsch: Das sind teilweise ganz kleine Sachen, die für die meisten keine Rolle spielen - für andere verunmöglichen sie ein Studium. Beispielsweise der Umstand, dass das BAföG (deutsche Studienbeihilfe, Anm.) erst im Jänner kommt, das Studium aber im Oktober beginnt. Man braucht im Oktober etwa 1000 Euro für den Studienbeginn - die man vorstrecken muss. Viele von unseren Leuten haben das nicht und auch deren Familien können es sich nicht leisten. Und schon hat man ein riesiges Problem.

arbeiterkind.de

Katja Urbatsch (33) gehört selbst zur "ersten Generation" Studierender in ihrer Familie. Vor vier Jahren hat sie in Deutschland die Initiative "arbeiterkind.de" gegründet. Das Ziel: Kindern aus Nicht-Akademiker-Familien die Möglichkeit eines Studiums näher zu bringen. Inzwischen zählt "arbeiterkind.de" mehr als 5000 ehrenamtliche Mitarbeiter in 70 lokalen Gruppen. Sie bieten neben Online-Beratung auch Info-Veranstaltungen an Schulen an. Seit 2011 gibt es für Österreich auch "arbeiter-kind.at".

Mit welchen Fragen wenden sich die Leute an euch?

Katja Urbatsch: Die Studienfinanzierung ist mit Abstand die größte Frage, 70 Prozent der Anfragen die wir bekommen sind zu dem Thema. Aber auch die Erstellung des Stundenplans oder sich in das wissenschaftliche Arbeiten einzufinden, wirft Fragen auf. Aber auch die Familie spielt eine große Rolle - wie kommuniziere ich denen, dass ich studieren möchte?

Und welches eurer Angebote wird am meisten genützt?

Katja Urbatsch: Am wichtigsten ist es, in die Schulen zu gehen, da können wir Leute erreichen, die sich nicht sowieso schon aktiv an uns wenden. Viele Initiativen machen den Fehler, auf die Ziegruppe zu warten. Wir bekommen dabei sehr gute Rückmeldungen von Schülern, Lehrern und Eltern. Wir kriegen aber auch viele E-Mail-Anfragen. Zusätzlich bieten wir 1:1-Mentoring an, aber die meisten brauchen nur einzelne Hilfestellugnen zu speziellen Fragen. Wir merken einfach, dass in dieser Gruppe viele Informationen zum Studium - die uns selbstverständlich erscheinen - fehlen.

Welche wären das?

Katja Urbatsch: Das fangt schon in der Schule, bei den Eltern an. Die sind zum Teil einfach zu wenig darüber informiert, wie bestimmte Entscheidungen die Bildungslaufbahn ihrer Kinder nachhaltig beeinflussen - zum Beispiel der Wechsel aufs Gymnasium. Die Auswirkungen solcher Entscheidungen müssen aber klar sein. Aber auch wenn es ums Studieren geht, sind viele Sachen nicht bekannt. Ein Beispiel: Die Studiengebühren wurden in den meisten deutschen Bundesländern wieder abgeschafft. Wir merken nun, dass viele Leute gar nicht wissen, ob es Studiengebühren gibt und wie hoch die sind. Die kommen teilweise auch gar nicht an den Punkt sich das zu überlegen, weil sie schon an den Lebenserhaltungskosten scheitern. Das ist in deren Sicht ein großer Block "Finanzierung".

Ihr habt in Deutschland inzwischen mehr als 5000 ehrenamtliche Mentoren in 70 lokalen Gruppen - wer sind diese Leute?

Katja Urbatsch: 80 Prozent sind selbst aus der "Ersten Generation" Studierender in ihrer Familie. Die verstehen, worum es geht. Das sind Studenten oder junge Berufstätige, die sagen: "Ich hab mich alleine durchgekämpft und hätte Hilfe gebraucht, jetzt will ich anderen helfen". Etwa 20 Prozent sind Akademiker-Kinder, aber da sind viele dabei, deren Eltern die Ersten waren. Jeder der mitarbeitet, hat irgendeinen Bezug zu dem Thema.

In Österreich gibt es die Initiative "arbeiter-kind.at" seit dem Herbst 2011. Wie geht es voran?

Katja Urbatsch: Wir haben inzwischen 130 Mitglieder. Es gibt eine Gruppe in Wien, die schon länger existiert. Ein Problem ist, dass wir viele Brufstätige haben, die am Vormittag nicht in Schulen gehen können. Wir bräuchten mehr Studenten. Es gibt auch eine Gruppe in Leoben, mehrere Interessenten aus Klagenfurt, Salzburg und Graz. Finanzielle Unterstützung bekommen wir nur von der Arbeiterkammer, damit wir Trainings für unsere Mentoren anbieten können.

Das heißt, ihr bräuchtet finanzielle Unterstützung?

Katja Urbatsch: Was wir in Österreich dringend bräuchten, wäre die Finanzierung einer fixen Stelle, denn die Organisation können nicht nur Ehrenamtliche alleine übernehmen. In Deutschland erhalten wir unsere Förderungen hauptsächlich vom Bildungsministerium, aber wir bekommen auch Geld von Stiftungen. Die gibt es in Österreich aber so nicht. In Deutschland haben die vielen Studien, bei denen wir schlecht abgeschnitten haben, einen so großen Handlungsdruck erzeugt, dass die Leute auch bereit sind, solche Initiativen zu fördern.

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