Auch wenn eine Naturkatastrophe nach dem Stranden der Kulluk vor Alaska diesmal verhindert werden kann: Es ist ein herber Rückschlag für Shells umstrittene Ölförderpläne. Der Konzern übt sich im Beschwichtigen.
Ottawa. Der Ölkonzern Royal Dutch Shell übt sich Tage nach der Havarie seiner Ölplattform Kulluk vor Alaska weiter im Beschwichtigen: Ja, die Plattform sei zwar beschädigt, und laut den Berichten eines Bergungsteams sei auch Wasser eingedrungen. Und, nein, in umgekehrter Richtung trete kein Öl aus, hieß es am Freitag.
Auch wenn der Zwischenfall tatsächlich glimpflich und also ohne Umweltschäden verlaufen sollte, ist er ein herber Rückschlag für Shell bei der Umsetzung der umstrittenen Pläne, im Arktischen Ozean Öl zu fördern. Der Mineralölkonzern steht an der Spitze derer, die den Arktischen Ozean für Öl- und Gasgewinnung nutzen wollen. Und die Kulluk ist eine von zwei Bohrinseln, die Shell im Sommer einsetzte, um in der Tschuktschen- und Beaufort-See mit Probebohrungen zu beginnen. „Wir wissen, wie man in Regionen wie dieser arbeitet“, zitieren die „Anchorage Daily News“ Firmensprecher Curtis Smith. Aus Zwischenfällen wie dem der Kulluk werde man lernen.
Ed Markey, Vertreter der Demokraten im für Bodenschätze zuständigen Ausschuss des US-Repräsentantenhauses, sieht das anders: „Die Ölunternehmen sagen, dass sie die Arktis bezwingen können, aber die Arktis ist anderer Meinung.“ Nach einer Reihe von Zwischenfällen sei klar, dass die Ölkonzerne derzeit dort nicht sicher bohren könnten. Eine Ausweitung der Bohrungen „könnte sich als desaströs für die sensible Umwelt erweisen“, sagt Markey.
Havarie nahe Exxon-Valdez-Unglücksort
Schauplatz der Havarie ist nicht der Arktische Ozean, sondern der Golf von Alaska, etwa 1500 Kilometer südlich der Bohrfelder im Eismeer. Der Unfall hat dennoch die Debatte über die Sicherheit der Ölsuche in der Arktis neu angefacht und die Frage aufgeworfen, was im Arktischen Ozean passieren kann, wenn nicht einmal das Abschleppen der Bohrinsel in südlichere Gewässern sicher ist. Es war nicht der erste Rückschlag für Shell. Technische Probleme hatten im Sommer dazu geführt, dass Shell zwar den Meeresboden anbohren, nicht aber in ölführende Schichten vordringen konnte.
Anfang Oktober hat Shell die Arbeiten eingestellt und begonnen, die Kulluk durch die Bering-Straße nach Süden zu schleppen. Sie soll in einer Werft in Seattle überholt werden. Zugschiffe und Plattform gerieten an den Weihnachtstagen in einen heftigen Sturm, am Silvesterabend lief die Kulluk südlich der Kodiak-Insel auf Grund.
An Bord der Plattform lagern 540.000 Liter Dieseltreibstoff und rund 45.000 Liter Schmier- und Hydrauliköl. Der Havarieort liegt etwa 500 Kilometer südwestlich des Prince William Sounds, wo sich 1989 die Ölkatastrophe der Exxon Valdez ereignet hatte.
Schwere Stürme auch in Arktis häufig
Mit dem Schwund des Meereises durch den Klimawandel ist das Interesse an der Ölförderung im Eismeer gestiegen. Das „Bureau of Ocean Energy Management“ der USA vermutet im äußeren Kontinentalschelf Alaskas unentdeckte, technisch abbaubare Ölreserven von 26 Milliarden Barrel und Gasreserven von 3,7 Bio. Kubikmeter. Shell hat 2008 für zwei Mrd. US-Dollar Förderlizenzen erworben und annähernd fünf Mrd. Dollar in die Bohrungen investiert.
Kritiker verweisen darauf, dass heftige Stürme wie jetzt im Golf von Alaska auch die Tschuktschen- und Beaufort-See prägen. Die beiden Randmeere des Arktischen Ozeans sind nur wenige Monate nicht eisbedeckt, aber selbst dann treiben oft große Eisflächen in diese Gebiete, die die Bohrinseln gefährden können. Umweltschützer bezweifeln, dass unter diesen Bedingungen sicher Öl gefördert werden kann und verweisen darauf, dass das Gebiet Lebensraum von Eisbären, Walen, Robben und Meeresvögeln ist.
Ein Problem ist laut Eleanor Huffines von der PEW Environment Group, dass es keine getestete Ausrüstung für die Reaktion auf eine Ölpest unter diesen Bedingungen gebe. „Dieses neueste Missgeschick ist eine schmerzliche Erinnerung, dass arktische Bohrungen einfach nicht sicher sind“, ergänzt Deirdre McDonnell vom Center for Biological Diversity. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum US-Präsident Barack Obama die Ölbohrungen im Eismeer erlaubt habe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2013)