Streit um das Tagebuch der Anne Frank

Anne-Frank-Gedenkstein im ehemaligen KZ Bergen-Belsen.
Anne-Frank-Gedenkstein im ehemaligen KZ Bergen-Belsen.(c) AFP
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Zum Jahresbeginn 2016 laufen die Urheberrechte von Anne Franks Tagebuch und Hitlers Propagandaschrift „Mein Kampf“ aus. Um die Neuauflage von Anne Franks Tagebüchern zu verhindern wird nun ihr Vater als „Mitautor“ gehandelt.

„Die Invasion hat begonnen. Englische und amerikanische Truppen kämpfen gegen die Deutschen. [...] Ich bin sehr vergnügt – vielleicht sitze ich im Oktober wieder auf der Schulbank. Aber ich will nicht voreilig sein“, schrieb Anne Frank am 6. Juni 1944 in ihr Tagebuch. Die 15-jährige schrieb drei Jahre lang mit Tinte und Buntstiften in ihr rot-weiß-grün kariertes Tagebuch. Während sie und ihre Familie sich vor den Nazis versteckten, entwickelte sich Anne von einem Kind zur jungen Frau. In die Schule kehrte Anne Frank jedoch nie zurück.

Authentizität immer wieder angezweifelt

Seit der ersten Veröffentlichung gab es immer wieder Diskussionen, ob das Tagebuch der Anne Frank wirklich von ihr selbst geschrieben wurde. Anne Franks Vater Otto sah sich immer wieder mit Fälschungsvorwürfen konfrontiert. „Anne Franks Tagebuch ist eine Fälschung. Den Betrug hat Otto Frank begangen“, sagte etwa Robert Faurisson. Er ist Literaturwissenschaftler und verurteilter Holocaustleugner.
Otto Frank zog mehrmals gegen Personen, die das Tagebuch als Fälschung bezeichneten, vor Gericht. Jedes Mal wurden Handschriftenexperten zu Rate gezogen und jedes mal wurde bestätigt, dass das Tagebuch echt ist und von Anne Frank selbst geschrieben wurde.

Otto Frank, seine Frau Edith und ihre beiden Töchter waren im Juli 1942 untergetaucht und versteckten sich in einem Hinterhaus in Amsterdam. Zwei Jahre lang hielten sich die Familie und vier weitere Personen auf engstem Raum versteckt. Im August 1944 wurden sie verraten und deportiert. Die im Versteck geführten Tagebücher der 15-jährigen Anne blieben erhalten. Otto Frank überlebte als einziger seiner Familie das Konzentrationslager Ausschwitz, seine Frau Edith starb dort, seine beiden Töchter Margot und Anne kamen im Lager Bergen-Belsen ums Leben.
Otto Frank fand die Tagebücher 1945 nach seiner Freilassung und beschloss sie zu veröffentlichen. Anne hatte eine erste, spontane Tagebuchfassung bereits aufbereitet, da sie sich selbst überlegt hatte, sie zu publizieren. Ihr Vater überarbeitete die Fassung und veröffentlichte 1947 in den Niederlanden erstmals das Tagebuch seiner Tochter.

Der Vater als potentieller Mitautor

Jetzt behauptet der Anne-Frank-Fonds Otto Frank wäre „Ko-Autor“ gewesen. Erst durch ihn wäre das Tagebuch seiner Tochter „lesbar“ gemacht worden. Der Sinneswandel kommt nicht überraschend, denn zum Jahreswechsel 2015/16 läuft das Urheberrecht auf die Bücher aus. In vielen Ländern Europas sind Bücher nur 70 Jahre lang urheberrechtlich geschützt. 70 Jahre und 30 Millionen verkaufte Exemplare nach Anne Franks Tod wird um die Rechte an den Nachdrucken gestritten.

Fonds und Stiftung haben gegenteilige Meinungen

Der Anne-Frank-Fonds mit Sitz in Basel ist derzeit Copyrightinhaber und erhält alle Erlöse aus dem Verkauf der Bücher. Diese werden karitativen Zwecken gespendet. Otto Frank gründete die Organisation und setzte sie als Universalerbin ein. Somit ist sie Inhaber sämtlicher Autorenrechte von Anne und Otto Frank. Sie wäre demnach auch urheberrechtlicher Eigentümer des Tagebuchs der Anne Frank wenn ihr Vater tatsächlich Mitautor des Buches war.

Doch auch die von Otto Frank gegründete Stiftung Anne-Frank-Haus hat Anspruch auf das Erbe von Anne Frank. Das Haus in der Prinsengracht 263, in welchem sich die Familie Frank über zwei Jahre versteckt hielt, ist heute ein Touristenmagnet. Mehr als eine Millionen Besucher besichtigen das Hinterhaus jedes Jahr. Im Anne-Frank-Haus wird das Originaltagebuch am Originalschauplatz seiner Entstehung ausgestellt. Die Amsterdamer Stiftung ist angesichts des auslaufenden Urheberrechts erfreut. „Das Anne-Frank-Haus begrüßt die Vielfalt“, meint die Stiftung.
Doch der Anne-Frank-Fonds will nun mit einem zweifelhaften Argument das Urheberrecht bei sich behalten. Durch die Behauptung, Otto Fränk wäre „Ko-Autor“ stehe ihm ein eigenes Urheberrecht zu. Nach dieser Argumentation hat der Fond das Copyright noch bis 2051, 70 Jahre nach Otto Franks Tod, inne.

Anne Frank als Gegengewicht zu Hitler

In Frankreich sprechen sich vor allem zwei Stimmen lautstark für das Auslaufen des Urheberrechts aus: Olivier Erzscheid - er will eine französische Neuübersetzung der Tagebücher im Internet veröffentlichen - und die Grünen-Abgeordnete Isabelle Attard. Sie ist Nachfahrin von Holocaust-Überlebenden und will selbst eine Neuübersetzung herausbringen. Sie ist der Meinung, dass es - weil Hitlers „Mein Kampf“ Anfang des Jahres 2016 neu veröffentlicht werden darf - einen Gegenpart braucht. Die beiden Werke nicht zur selben Zeit neu zu veröffentlichen, hält sie für inakzeptabel.

Adolf Hitler starb ebenfalls 1945, somit erlischt zum Jahreswechsel auch das Urheberrecht seiner Hetzschrift „Mein Kampf“. In Frankreich kündigte der Verlag Fayard eine Neuauflage von Hitlers Buch an. Angekündigt ist eine kommentierte Ausgabe, Empörung gibt es trotzdem.
Auf Deutsch wurde das Buch seit 1945 nicht mehr produziert. Das Urheberrecht hat bis zum Ende des Jahres 2015 der Freistaat Bayern inne, da er der Rechtsnachfolger des nationalsozialistischen Franz-Eher-Verlags ist. Bayern ist deshalb als einziges berechtigt, Neuauflagen zu drucken.
Bereits seit mehreren Jahren wird vom Münchner Institut für Zeitgeschichte an einer zweibändigen, kommentierten Ausgabe von „Mein Kampf“ gearbeitet. 780 Seiten stammen aus dem Original, der Rest des Buches besteht aus bis zu 5000 wissenschaftlichen Kommentaren, Einleitung und Register. Bayern kündigte 2012 an, das Projekt mit 500.000 Euro zu fördern, zog seine Unterstützung jedoch wieder zurück. Die Begründung von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU): „Ich kann nicht einen NPD-Verbotsantrag in Karlsruhe stellen und anschließend geben wir sogar noch unser Staatswappen her für die Verbreitung von Mein Kampf – das geht schlecht“.

Neue unkommentierte Ausgaben soll es nicht geben

Verboten ist das Buch an sich in Österreich oder Deutschland nicht. Originalausgaben können in Antiquariaten gekauft werden, auch der Verleih in Bibliotheken ist erlaubt.

Deutsche Justizminister der Bundesländer haben 2014 erklärt, die unkommentierte Verbreitung von „Mein Kampf“ bleibe nach Auslaufen der Urheberschutzfrist verboten. Es gibt kein eigenes Gesetz dafür, aber der Strafbestand der Volksverhetzung soll die Verbreitung einer nicht kommentierten Ausgabe verhindern.

Hitler hat das zweibändige Buch 1924 während seiner Gefängnishaft geschrieben. 1943 waren in Deutschland ungefähr zehn Millionen Exemplare verbreitet. Der Staat schenkte die Bücher unter anderem Paaren zur Hochzeit. „Mein Kampf“ wurde in sechzehn Sprachen übersetzt und auch nach 1945 außerhalb Europas nachgedruckt.

Große Buchhandlungen geben sich bisher sehr zurückhaltend auf die Frage ob sie die kritische Version von „Mein Kampf“ in ihren Buchhandlungen verkaufen werden. Die Buchhandelskette Thalia etwa gibt an, das Buch nur auf ausdrücklichen Kundenwunsch zu bestellen. Amazon will die Verkaufserlöse an gemeinnützige Zwecke spenden.

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