Umweltschutz: Harter Kampf gegen Plastikmüll

(c) EPA (Rungroj Yongrit)
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In den Ozeanen schwimmen mehr Kunststoffabfälle als Lebewesen. Die EU will das bis 2020 ändern aber mit sehr geringer Erfolgschance. Und das maritime Müllproblem wird immer größer.

Brüssel. Vor 13 Jahren, während eines Törns im Nordpazifik, hatte Kapitan Charles Moore auf seinem 50-Fuß-Katamaran „Alguita“ ein folgenschweres Aha-Erlebnis. „Jedes Mal, wenn ich morgens an Deck kam, habe ich im Wasser Müll gesehen“, erzählt der knorrige kalifornische Seebär im Gespräch mit der „Presse“. Bierkisten, Cola-Flaschen, Plastiksackerln japanischer Supermarktketten: Was Moore, Gründer des Meeresforschungsinstituts Algalita da hunderte Seemeilen vor der US-Küste im Ozean schwimmen sah, entpuppte sich als die wohl weltgrößte Plastikmüllkippe.

Heute weiß man, dass in allen Weltmeeren solche „Plastiksuppen“ dümpeln. 245 Millionen Tonnen verschiedenster Kunststoffe werden weltweit jedes Jahr hergestellt, und ein wachsender Anteil davon landet in den Ozeanen. Dort schädigt der Plastikmüll die Tierwelt auf vielfache Weise. UV-Licht und Meeresströmung zerlegen die Kunststoffe in kleine Partikel, die nach und nach in der gesamten Nahrungskette auftauchen: von der Qualle bis zum Grauwal. Schildkröten und Meeresvögel schlucken Flaschenverschlüsse und verhungern, weil ihr Verdauungstrakt verstopft wird. Größere Plastikteile wiederum sorgen als schwimmende Inseln dafür, dass Fische und Mollusken tausende Kilometer weit in neue Ökosysteme eindringen und Schaden anrichten.

EU-Ziel: „Saubere“ Meere bis 2020

Und das maritime Müllproblem wird größer. 1999, zwei Jahre nach seiner Entdeckung, maß Moore den Plastikmüll im Nordpazifik: „Zu meiner Überraschung ist, gemessen am Gewicht, sechsmal mehr Plastik im Meer als Zooplankton.“ Sprich: Auf jedes Kilogramm Krill, Tintenfisch, Thun und Blauhai kamen sechs Kilogramm Joghurtbecher, Golfbälle und Zahnbürsten. Heute, sagt Moore, betrage das Verhältnis Plastikmüll zu Zooplankton bereits 36:1.

Die EU hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 „einen guten Umweltzustand in der Meeresumwelt zu erreichen oder zu erhalten.“ Das bedeutet, dass „die Eigenschaften und Mengen der Abfälle im Meer keine schädlichen Auswirkungen auf die Küsten- und Meeresumwelt“ haben sollen. So steht es in der Rahmenrichtlinie zur Meeresstrategie aus 2008. „Wer weiß, vielleicht wird eines Tages der Atlantik frei von Plastik sein“, sagte Umweltkommissar Janez Potočnik am Montag in Brüssel bei einem Workshop, an dem auch Moore teilnahm.

Der Kapitän hält Potočniks Hoffnung auf „saubere“ Meere für illusorisch. „Die meisten Landratten begreifen die Größe der Ozeane nicht. Es gibt keine Technologie, die die Meere säubern könnte. Und das hätte auch keinen Sinn, solange wir nicht aufhören, den Müll ins Meer zu schütten.“

„Das Schmiermittel der Globalisierung“

Der Schlüssel liegt also in der Schaffung von Industriestandards, durch die weniger Plastik hergestellt wird. Der Ball liegt somit auch bei Industriekommissar Antonio Tajani. Seine Sprecherin verweist auf Anfrage der „Presse“ auf die erfolgreichen Bemühungen der Kommission, die Hersteller von Handy-Netzteilen zu einem einheitlichen Standard zu bewegen. Auch Potočnik denkt in diese Richtung: „Wenn wir nachdenken, wie wir dieses Problem lösen, müssen wir die Unternehmen einbinden, die den potenziellen Müll herstellen, der in unseren Meeren endet.“

Mit diesem Zugang stoßen die Umweltpolitiker aber rasch auf den Widerstand der Industrie – vor allem in Zeiten der Rezession: „Plastik ist der Schmierstoff der Globalisierung“, sagt Moore. „Wir hätten keine Produktion von Waren zu derart niedrigen Arbeitskosten, wenn wir diese Produkte nicht in Plastik verpacken könnten.“

Auf einen Blick

245 Millionen Tonnen Plastik werden pro Jahr weltweit hergestellt, ein Viertel davon in der EU. Verpackungsmaterial macht 38 Prozent der hergestellten Menge aus – aber 63 Prozent des Plastikmülls. Immer mehr davon landet im Meer und schädigt Tiere und Pflanzen. Die EU will diesen Trend bis 2020 stoppen – mit geringen Erfolgsaussichten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2010)

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