Putin verschärft Disziplinierungskurs

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Die Kontrollmaschinerie des Präsidenten läuft auf Hochtouren. Mit Anlassgesetzgebung werden die Untertanen gefügig gemacht. "Orthodoxie, Autokratie, Nationalität" ist das übergeordnete Motto.

Moskau. Bei einer Verurteilung drohen den zwölf jungen Menschen, deren Prozess am Donnerstag in Moskau begann, acht Jahre Haft. Angeklagt sind sie wegen Unruhestiftung bei Protesten gegen Präsident Wladimir Putin im Vorjahr. Seit der Protestwelle gegen seine Wiederwahl hat Putin die Daumenschrauben angezogen – und die Disziplinierungsmaschinerie für seine Untertanen in Gang gesetzt.

Dabei wird 2013 als Jahr der Anlassgesetzgebung in die postsowjetische Geschichte Russlands eingehen. Putin hat nicht nur teure Ausgabensteigerungen verordnet, die als Beruhigungssignal der Stabilität wirken sollten; er hat im Nu auch quasi einen engmaschigen Stacheldraht an restriktiven Gesetzen rund um das staatliche Entscheidungszentrum des Kreml und seine gesellschaftlichen Tragsäulen gelegt.

Aktuell wird etwa im Bereich der Religion diszipliniert. Ende Mai hat das Parlament in zweiter Lesung ein Gesetz zum so genannten „Schutz der Gläubigen“ verabschiedet. Zwar wurden Abschwächungen vorgenommen, sodass das Gesetz nicht nur die Orthodoxie umfasst. Aber es werde durch seine Ungenauigkeiten zu immer „mehr willkürlichen Urteilen“ führen, wie Alexander Werchowski vom Menschenrechtsrat des Kreml warnt. So werden „öffentliche Aktionen, die eine offensichtliche Missachtung der Gesellschaft ausdrücken und auf die Beleidigung religiöser Gefühle von Gläubigen zielen“, fortan strafrechtlich – auch mit Lagerhaft – geahndet.

Reaktion auf den Fall Pussy Riot

Der Kreml reagiert damit auf den Fall der Aktivistinnen von Pussy Riot, die die Gottesmutter in einer Kirche angefleht hatten, Putin zu vertreiben. In Allianz mit der orthodoxen Kirche hatte die Justiz in Ermangelung eines Blasphemiegesetzes die Causa zu „Rowdytum aus religiösem Hass“ machen müssen, um zwei Mitglieder für zwei Jahre ins Straflager zu schicken.

Was das Blasphemiegesetz im Religiösen ist das „Agentengesetz“ oder etwa das Verbot der „homosexuellen Propaganda“ im Bereich der Zivilgesellschaft. Dabei zeigt sich, dass die neuen Verbote ihre Funktion nicht verfehlt haben: Wie das Meinungsforschungsinstitut Lewada-Centre eruierte, ist die Bevölkerung noch härter als der Gesetzgeber und sagt zu 66Prozent, dass NGOs, die die Machthaber kritisieren, überhaupt keine ausländischen Geldmittel erhalten dürften.

Die Aktionen gegen NGOs fügen sich in die Modelle des kollektiven Bewusstseins, die sich über Jahrzehnte gebildet haben, erklärt Alexej Graschdankin, Vizechef des Lewada-Centre. Putins Rhetorik lasse das Gefühl wiederaufleben, dass alle gefährlichen Ideen aus dem Ausland kommen.

Ähnlich bei der Homosexualität: Mitte Mai hat das Lewada-Centre dargelegt, dass sich die ohnehin schlechte Einstellung zu Homosexuellen binnen eines Jahres weiter verschlechtert hat. Drei Viertel der Bevölkerung halten Homosexuelle für „moralisch verkommen“ oder „psychisch nicht vollwertig“. 73 Prozent sind überzeugt, der Staat müsse verhindern, dass Homosexualität öffentlich in Erscheinung tritt. Das ist die höchste Ablehnung in 15 Jahren und hat konkret damit zu tun, dass der Staat eine aktive Politik gegen Homosexualität fährt. Das Parlament will bis Mitte Juli das Gesetz zum Verbot der Homosexuellen-Propaganda annehmen.

Die „Neudefinition des Westens“ als Hort des schlechten Einflusses, von der Alexej Makarkin vom Moskauer Institut für Politische Technologien spricht, ist voll im Gang. Auch das Moskauer Carnegie-Institut befindet in einer Analyse, dass Russland Europa und dessen Wertesystem nicht mehr als Modell für sich sehe und angesichts interner Unwägbarkeiten isolationistischen Tendenzen fröne.

Rückbesinnung auf das Nationale

Damit einher geht die Rückbesinnung auf die eigene Mentalitätsgeschichte und das Nationale. In diese Kerbe schlägt auch das Gesetz zur Renationalisierung der Elite, das darin besteht, Beamten den Besitz von Konten im Ausland zu verbieten und sie – erwünschter Nebeneffekt – so besser unter Kontrolle und in Loyalität zu halten.

In gewisser Weise aber hat Putin binnen eines Jahres de facto jene nationale Doktrin wiedererweckt, die Sergej Uwarow vor etwa 180 Jahren, als in Russland der große kulturgeschichtliche Streit zwischen den so genannten Slawophilen und den Westlern tobte, formulierte: „Orthodoxie, Autokratie und Nationalität“. Uwarow war Minister für Volksaufklärung unter dem Zaren Nikolaus I. Dessen Beiname: „Gendarm Europas“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2013)

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