Volksoper: Wo bleibt hier die Sinnlichkeit?

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Die neue „Verkaufte Braut“ von Regisseur Helmut Baumann in der Wiener Volksoper krankt an einem stimmlich enttäuschenden Liebespaar – und schmerzlicher szenischer Langeweile.

Endlich die Komödianten! Zum feurigen Skočná turnen Athleten, wirbelt ein Jongleur Ringe durch die Luft, purzeln Clowns übereinander, produziert ein Feuerspucker Flammenbälle . . . Wenn die Szene allerdings nicht als schöner Aufputz wirkt, sondern aus einem weitgehend öden Abend als eindrucksvollste Hauptsache hervorragt, dann ist etwas massiv schiefgelaufen bei dieser neuen „Verkauften Braut“, die am Gürtel natürlich auf Deutsch und in der auch schon traditionell zu nennenden Homolka-Übersetzung gegeben wird.

Schiefgelaufen nicht nur deshalb, weil Regisseur Helmut Baumann den herkömmlich bunten Folklorismus aus dem Opernbilderbuch verschmähte und durch einen Quasi-Naturalismus im Stil der 1910er-Jahre ersetzte, ohne das Werk dabei radikal umzudeuten. Mathias Fischer-Dieskau schuf dafür einen passenden Rahmen in Gestalt eines schräg angeschnittenen, stilisierten großen Stadels: Holzoptik Marke Ikea, vom nagenden Wurm der Zeit nicht verschont geblieben – ein Bild auch für gesellschaftliche Enge in dörflicher Tristesse, die Ingrid Erb mit meist schwarzgrauen Kostümen für den wackeren Chor und dezenten Farbakzenten für die Protagonisten unterstreicht.

Das geht alles – nur müssten in diesem Ambiente dann auch musikalisch große Gefühle vermittelt werden. Doch da schwächeln die Stimmen gerade des Liebespaares bedenklich: Vokale Sinnlichkeit, ob man sie nun „slawisch“ nennen möchte oder besser auf regionale Zuordnung verzichtet, haben weder Caroline Melzer als Marie noch Matthias Klink als Hans zu bieten. Groß, schlank und zumindest in dieser Produktion mit langem Blondhaar gesegnet, genügt die junge deutsche Sopranistin vor allem optischen Anforderungen, wirkt aber mit ihrem lange Zeit spröden, erst im dritten Akt sich etwas aus blecherner Härte befreienden Timbre ebenso wie als Charakter schmerzlich reizlos.

Matthias Klink ohne betörenden Glanz

Melzers gleichfalls nicht übel aussehender tenoraler Landsmann habe sich offenbar übernommen, da er in der letzten Woche vor der Premiere auch die Proben für die erkrankte Zweitbesetzung gesungen habe, ließ Direktor Robert Meyer das Publikum vor dem dritten Akt wissen. Doch bedenklicher als Klinks bis dahin immer wieder kippende, reichlich gefährdete Höhe stimmte das Fehlen jugendlich-dramatischer Reserven und, vor allem, eines betörenden Glanzes in der Stimme: Hauptsächlich mit dem Umschiffen der gefährlichen Klippen seiner Partie beschäftigt, konnte er sich auch darstellerisch nie ganz freispielen.

Dass die ersten zwei Akte so weitgehend ohne Höhepunkte abliefen und man sich fragen musste, wo denn nun die populäre, mitreißende Volksoper namens „Verkaufte Braut“ hin verschwunden sei, lag jedoch auch an der zumeist einfallslosen Personenführung und -charakterisierung, die stellenweise so wirkten, als bekäme man die Reste einer jahrzehntealten Produktion zu sehen.

Musikalisch nur ein Schwelbrand

Vor gut fünf Jahren brachte Baumann, gefeierter Musical-Impresario und Regisseur am Berliner Theater des Westens, Meyers Einstandspremiere „Orpheus in der Unterwelt“ mit Schauspiel(er)unterstützung erfolgreich auf die Volksopernbühne. Smetanas beliebteste Oper mit ihren durch Rezitative verbundenen Nummern braucht aber eine andere Behandlung als Operette und Musical. Dass Baumann den oft verlachten Wenzel als sympathischen Loser zeichnet, der unter einer dominanten Mutter leidet, an Selbstmord mehr als nur denkt, aber schließlich mit Esmeralda (Anita Götz) sein Glück finden darf, gehört zu den wenigen Atouts: Jeffrey Treganza machte die Wandlung der Figur nachvollziehbar. Daneben gelang es dem nächsten Bayreuther Alberich Martin Winkler, den Kecal mit einer Prise gefährlicher Widerwärtigkeit zu würzen, ohne ihn gleich ungenießbar zu machen: Er spielt ein im Grunde doch liebenswürdiges Schlitzohr, das zuletzt erfolgreich düpiert wird. Sängerisch verfügt er zwar nicht über sonore Bassestiefen, erzielt mit seinem markanten Charakterbariton aber in allen Lagen humorigen Effekt.

Der fehlte dafür beim Zirkusdirektor Springer: Boris Eder spielte und sang präzise, musste aber auch als extemporierender Dritter-Akt-Komiker antreten – eine Meta-Rolle, in der er mit banalen „aktuellen“ Anspielungen nur heiße Pointenluft produzierte. Die dürfte allenfalls bei jenen beiden Burschen Anklang finden, die zuvor beim Furiant, angefeuert von ihren Spezis, um die Wette Bier gesoffen haben: Die Tanzeinlagen (Choreografie: Bohdana Szivacz) wirkten insgesamt seltsam unausgeglichen, zu ballettartig für echten Realismus, zu uneben für ein „Gastspiel“ des Staatsballetts. Die Stärken der soliden musikalischen Einstudierung durch den mit tschechischer Oper bestens vertrauten Dirigenten Enrico Dovico lagen im Zarten, Leisen und im genau dosierten Rubato – zu hören vor allem in den Duetten von Hans und Marie. Dagegen erklangen die explosiveren Teile der begnadeten Partitur etwas zu brav und gediegen: ein Schwelbrand statt Funkenflug und lodernden Flammen.

Immerhin laute, etwas undifferenzierte Dankbarkeit für alle, darunter auch die beiden Elternpaare, angeführt von Michael Kraus als gichtgeplagt hatschendem Kruschina: fast ein Symbol für den ganzen Abend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2013)

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