Derry: Sunday, Bloody Sunday

(c) AP (PETER MORRISON)
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Am Montag jährt sich der Blutsonntag zum 40. Mal. Wegen des Nordirlandkonfliktes spielt Derry City FC heute als einziger Klub aus dem Norden in der irischen Fußballliga.

Am Tag, an dem das Zauberwort fiel, saß Richard McKinney leider im Büro. „Aber ich habe es live auf meinem Computer verfolgt. In dem Moment kam sowieso niemand und wollte ein Ticket bei uns kaufen.“ Ein großer Teil der Stadt hielt sich am Guildhall Square auf und horchte über Videowand und Lautsprecher dem britischen Premierminister. „On behalf of the government, indeed on behalf of our country, I am deeply sorry.“ Im Namen der Regierung und des gesamten Landes, sagte David Cameron im Juni 2010, tue es ihm sehr leid.

Im Stadtzentrum der katholischen Stadt Derry brach sofort Jubel aus. „Es war ein unglaublicher Tag. Endlich“, sagt McKinney, „wurde Verantwortung übernommen.“ 38 Jahre und neun Monate, nachdem britische Soldaten eine Demonstration katholischer Nordiren ohne Warnung niedergeschossen und 13 Menschen getötet haben.

„Bloody Sunday“, der 30. Januar 1972, ist einer der blutigsten Tage in der Geschichte Nordirlands. In Derry, wo sich alles abspielte, ließ er niemanden kalt, nicht Richard McKinney und nicht dessen Arbeitgeber, den Fußballklub Derry City FC. Der einstige nordirische Meister verließ noch im selben Jahr die nationale Fußballliga. Schon kurz vor dem Blutsonntag hatten sich einige Vereine wegen Ausschreitungen in der Gegend des Stadions geweigert, zu Auswärtsspielen nach Derry zu reisen. Dreizehn Jahre sollte es dauern, bis McKinney und sein FC wieder erstklassig spielen würden. Allerdings nicht im eigenen Land. Heute sind die „Candystripes“, wie sich die Spieler des Vereins nennen, der einzige nordirische Klub in der ersten Liga Irlands.


Protestanten und Katholiken. Am Blutsonntag war Richard McKinney mit seinem Vater vor Ort. „Tausende beschwerten sich über die Diskriminierung der Katholiken. Es ging um Wohnungspolitik, Arbeitsplätze und alles andere.“ Über lange Zeit hatte sich in den katholisch dominierten Teilen Nordirlands Unmut über die britische Politik angestaut. Als die Engländer 1800 das irische Parlament auflösten und Irland der protestantischen englischen Krone anschlossen, wurde auch Nordirland ein Teil Englands und blieb es auch nach der Unabhängigkeit Irlands 1921. Über die Jahrzehnte entstand ein wirtschaftliches Ungleichgewicht. Der katholisch geprägte Westen des Landes verarmte, eine starke Segregation zwischen Protestanten und Katholiken folgte.

1972 war McKinney 16 Jahre alt und verteilte bei Derry City Stadionhefte. Militärische Konflikte waren für ihn nichts Neues mehr, seit einigen Monaten waren britische Truppen in der mit knapp 100.000 Einwohnern zweitgrößten Stadt des Landes stationiert. Bei früheren Aufständen waren bereits Menschen gestorben. „Aber der Blutsonntag übertraf alles. Einer der 13 Getöteten war ein Junge aus meiner Schule.“

Der Tag gab irischen Nationalisten, die für den Anschluss Nordirlands an ihr Land kämpften, ebenso Aufwind wie den paramilitärischen Loyalisten, die Nordirland bei Großbritannien halten wollten. „Die beiden Extreme wollten alle für sich vereinnahmen“, erinnert sich McKinney.

Ähnlich lesen sich die folgenden Jahre des Fußballklubs. Nachdem der Verein wegen Sicherheitsbedenken nicht mehr in seinem 7000 Plätze kleinen Stadion Brandywell spielen durfte, mussten Heimspiele im fast 50 Kilometer entfernten Coleraine ausgetragen werden. Die Zuschauer blieben fort, und mangels Einnahmen durch Ticketverkäufe ging den „Candystripes“ das Geld aus. Existenzbedrohende Jahre folgten. „Der Verein stellte sehr oft Anträge beim Verband, zurück nach Brandywell zu dürfen. Immer wieder abgelehnt“, erklärt der Journalist Arthur Duffy, der seit Jahrzehnten für das „Derry Journal“ über den Klub berichtet. „Die Zwangsumsiedlung war eine klar politische Entscheidung. Der Verband war protestantisch dominiert.“


Nordiren im Süden. So verlor Derry nicht nur seinen geliebten Spitzenklub, sondern auch eine Generation von Fußballern. „Viele von uns gingen entweder in die Nachbarorte zum Kicken oder spielten gar nicht“, erinnert sich Duffy, der heute 50 Jahre alt ist. Da der Verein in Nordirland keine Zukunft sah, näherte man sich irischen Offiziellen an. Mit Zustimmung des heimischen Verbandes konnte Derry City schließlich ab 1985 an Wettbewerben im Süden der irischen Insel teilnehmen. „Das war schon komisch“, sagt McKinney mit leiser Stimme. Karten für Auswärtsspiele gab er, der mittlerweile im Ticketbüro arbeitete, von nun an für Spiele im Ausland aus.

Sportlich ging es aufwärts. Das Brandywell-Stadion war Woche für Woche ausverkauft. 1989 gelang sogar der Gewinn des irischen Triples. Auch auf den Straßen wendete sich das Blatt. „Die Jugendlichen interessierten sich mehr für Fußball und weniger für Aufmärsche. Das hat auf jeden Fall geholfen“, schätzt Duffy. Denn obwohl der Verein immer Spieler beider Religionen willkommen geheißen hat, waren die Unterstützer während der heikelsten Jahre vor allem katholische Republikaner. Nach und nach wurde Derry City zu einer Plattform des friedlichen Austauschs. Als 1998 der Nordirlandkonflikt offiziell beigelegt wurde, änderte sich beim FC nicht mehr viel.

„Seine Erfolge werden von Iren wie Nordiren bejubelt“, schrieb das deutsche Fußballmagazin „11 Freunde“ vor sechs Jahren. Damals, 2006, erreichte der Klub seinen bisher größten Erfolg. Durch Überraschungssiege gegen IFK Göteborg und Gretna FC hat es der Underdog, der bis heute keinen Vollprofi im Kader hat, bis in die erste Runde des Uefa-Cups geschafft. Dort schied man nur knapp gegen Paris St. Germain aus. Sogar Fans der einst verhassten Protestanten des Linfield FC aus der Hauptstadt Belfast, der zur Verbannung aus dem Brandywell-Stadion beigetragen hatte, waren mit nach Paris gereist. Heute tragen beide Vereine jährlich einen friedlichen Wettbewerb zwischen den je sechs besten nordirischen und irischen Vereinen aus.

Eine Rückkehr in die nordirische Liga ist dennoch kein Thema. „Wir fühlen uns wohl in Irland“, sagt McKinney. Auch wenn die britische Regierung sich vor eineinhalb Jahren endlich schuldig für den Blutsonntag bekannt habe und sich heute kein Klub mehr vor einer Reise ins Brandywell-Stadion fürchten müsse. Die Dinge haben sich so entwickelt. Wenn sich der Bloody Sunday am Montag zum 40. Mal jährt, will Richard McKinney nichts Besonderes machen. Auch der Klub, für den er noch immer Tickets verkauft, wird den Tag offiziell ignorieren. „Politisch wollten wie hier nie sein“, erklärt er. „Wir wollten eigentlich immer nur Fußball spielen.“

Bloody Sunday

Britische Soldaten erschossen 13 Demonstranten
Am 30. Jänner 1972 richteten britische Soldaten in der nordirischen Stadt Derry ein Massaker an. Sie eröffneten das Feuer auf Demonstranten, 13 Menschen starben. Daraufhin eskalierte der Nordirlandkonflikt, die IRA übte blutige Vergeltung.

Britische Regierung entschuldigte sich 38 Jahre später
Premier David Cameron entschuldigte sich am 15. Juni 2010 im Namen der britischen Regierung für die Gräueltat.

Derry City wechselte in die irische Liga
Der katholische Fußballklub Derry City FC spielt als einzige nordirische Mannschaft in der irischen Airtricity League und wurde vergangene Saison Dritter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2012)

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