Bulgarien: Feinkost zwischen Plattenbauten

Bulgarien Feinkost zwischen Plattenbauten
Bulgarien Feinkost zwischen Plattenbauten(c) Michaela Bruckberger
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Die internationalen Handelsketten haben in Bulgarien rasant expandiert: Billa feierte am Sonntag sein zehnjähriges Jubiläum auf dem Markt. Das Geschäft im Osten wirft viel mehr Gewinn ab als im Westen – bisher zumindest.

Sofia. Größer könnte der Kontrast kaum sein. Draußen verkommen die Plattenbauten, eingeschlagene Fenster werden nur mit Plastikfetzen zugehängt, Ostblock-Tristesse. Drinnen: frisches Obst aus aller Welt, blitzsaubere Regale, Einkaufsradio, üppige Feinkost-Theken. Kurz: ein Billa, wie er eins zu eins in Österreich stehen könnte. Der Einzelhandel in Bulgarien hat sich – wie in andern Ländern Mittel- und Osteuropas – in den vergangenen Jahren rasend schnell entwickelt. Billa feiert in Bulgarien dieser Tage mit großem Getöse sein zehnjähriges Jubiläum in Bulgarien.

75 Geschäfte in Rot-Gelb stehen mittlerweile zwischen der serbischen Grenze und der Schwarzmeerküste, noch heuer sperren acht weitere auf, bald sollen es 100 sein. „Bulgarien hat sich in den vergangenen zwei Jahren enorm schnell entwickelt“, sagt Janusz Kulik, der für die mittelosteuropäischen Länder zuständige Vorstand der Rewe International AG. Billa betrachtet sich in seinem Segment, den Supermärkten, als Marktführer und mit etwa 4000 Mitarbeitern als einen der größten Arbeitgeber des Landes. Zwar machen Metro und Kaufland dort mehr Umsatz, sie verkaufen aber mitunter auch Fernseher. Die großen Ketten machen sich in den Städten breit.

Geht man in Bulgarien einkaufen, führt der Weg in den meisten Fällen noch auf den Markt oder zu einem der kleinen, bulgarischen Händler, wie man sie im Parterre der unzähligen Plattenbauten findet. Alle „modernen Kanäle“ gemeinsam, also alle Supermärkte oder Hypermärkte, haben in Bulgarien einen Marktanteil von 25 Prozent – der Rest entfällt auf lokale Händler. Ein Greißlersterben hat Bulgarien noch nicht erfasst.

Angst vor den Konzernen

„Die internationalen Ketten sind ein neuer Weg, um Konsumenten zu erreichen. Aber die kleinen, bulgarischen Hersteller und Händler haben auch Angst, dass sie von internationalen Marken verdrängt werden oder die Preise stark unter Druck geraten“, sagt Wirtschaftsminister Traicho Traikow. „Da muss man eine Balance finden.“ Bei Billa stammen derzeit etwa zwei Drittel der 12.000 Produkte, die man in einem Billa in Sofia findet, aus der Region. Dieses Angebot soll wachsen – auch durch Kooperationen mit bulgarischen Partnern.

Billa war eine der ersten internationalen Ketten in Bulgarien und ist enorm schnell gewachsen. „Die Konkurrenz kommt zum Teil erst“, sagt Kulik. Mit diesem Vorsprung machen die Händler auch ein (noch) sehr profitables Geschäft im Osten: „Die Profitabilität in Osteuropa ist trotz der Krise viel höher als in Westeuropa“, so Kulik. Schließlich sind Steuern und Lohnkosten niedrig, die Konkurrenz klein, während in Westeuropa – speziell in Deutschland oder Österreich – der Preiskampf die Gewinnspannen der Händler schmälert.

Aber der Preisdruck wird auch in Bulgarien steigen: Schon im November startet die Diskontkette Lidl mit 29 Geschäften, die von Plus übernommen wurden. „Lidl wird die Preissituation verändern“, sagt Emil Stefanow, der Chef von Billa-Rumänien und -Bulgarien. Auch der Rewe-Konzern ist mit seiner Diskont-Tochter Penny in Bulgarien mit 36 Filialen aktiv. Die beiden Ketten haben dort aber wenig miteinander zu tun. Billa untersteht der Rewe International AG mit Sitz in Wiener Neudorf, Penny der deutschen Zentrale des Konzerns.

Obwohl Billa in Bulgarien verhältnismäßig nobel und modern wirkt, komme die ganze Bevölkerung – quer durch alle Schichten, erklärt Bojko Satchanski, Marketing-Manager von Billa-Bulgarien. Greift man zu billigen Eigenmarken, könne man bei Billa günstiger einkaufen als bei kleinen einheimischen Händlern – ein Liter Milch kostet umgerechnet etwa 35 Cent. Internationale Marken kosten freilich mehr. Joghurtdrinks aus Österreich gibt es um umgerechnet etwa einen Euro, Kosmetika großer Konzerne kosten in Sofia genauso viel wie in Wien.

40 Prozent des Geldes für Nahrung

Weil Bulgaren freilich weit weniger verdienen als Westeuropäer – ein bulgarischer Haushalt hatte Ende 2009 laut offizieller Statistik im Schnitt 425 Euro pro Monat zur Verfügung – gehen in Bulgarien etwa 40 Prozent des verfügbaren Geldes für Lebensmittel drauf. In Österreich gab man dafür zuletzt im Schnitt etwa 13 Prozent aus.

In der Krise ist die Kaufkraft der Bulgaren weiter gesunken, entsprechend hat sich auch das Konsumverhalten geändert. Statt Premium-Marken zu kaufen, sei das Geschäft mit den Produkten der billigen Eigenmarke Clever „explodiert“, sagt Stefanov. Auch Rewe ist in der Krise zurückhaltender geworden, „die Expansionspläne sind vorsichtiger“, so Kulik. Dennoch erwartet er noch ein gutes Geschäft, „die bulgarische Kaufkraft wird bald ein polnisches Niveau erreichen“.

Mit einem Umsatz von 280 Mio. Euro im Jahr 2009 (plus 9,10 Prozent gegenüber 2008) ist Bulgarien die Nummer fünf unter den sieben Ostländern (inklusive Russland) des Konzerns. In Tschechien, der Slowakei, Russland und Rumänien macht Rewe bereits mehr Geschäft. In Summe hat der Handelsriese in Zentral- und Osteuropa 2009 Waren um 2,49 Mrd. Euro verkauft – ein um die Wechselkursschwankungen bereinigtes Plus von 9,22 Prozent. Tendenz schnell steigend. Schließlich, so Stefanow, soll „Billa in Bulgarien einmal das sein, was Billa in Österreich ist“.

Auf einen Blick

Supermarkt statt Greißler: Internationale Handelsketten haben den bulgarischen Markt regelrecht gestürmt: Metro, Kaufland, Billa und Konsorten haben mittlerweile einen Marktanteil von einem Viertel. Billa, nach Eigendefinition mit 75 Filialen Marktführer, feiert dieser Tage sein zehnjähriges Bestehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2010)

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