Soziale Probleme: Kinder und ihre kriminellen Mutproben

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Druck von Cliquen wird immer stärker – Kinder mit geringem Selbstbewusstsein seien besonders gefährdet, sagt eine Psychologin. Ein Kriminologe will aber keinen Trend bei Delikten durch Kinder erkennen.

BAD ISCHL/WIEN. Zufall oder Trend? Am Montag wurde der jüngste „Einbrecher“ Österreichs ertappt. Ein Siebenjähriger wurde von der Polizei auf frischer Tat in einer Sportanlage in Bad Ischl (OÖ) entdeckt. Am 5. August wurde ein 14-Jähriger von der Polizei erschossen, der in einen Supermarkt in Krems (NÖ) eingebrochen ist.

Bad Ischl und Krems – zwei Tourismusmagneten, die letztlich aber wie viele Kleinstädte mit sozialen Problemen zu kämpfen haben. Mit Jugendlichen, die gesellschaftlich schlecht integriert und zu Grenzüberschreitungen bereit sind.

Die Clique des Bad Ischler Siebenjährigen, darunter auch zehn-, 13-, 14- und 15-jährige Buben, traf sich gewöhnlich am Bahnhof oder im Parkbad. Sie waren schon zuvor aufgefallen, sagt Bürgermeister Hannes Heide der „Presse“ – es seien Kinder mit Migrationshintergrund. Und es sei „bedauerlich“, dass so etwas vorkomme. Die Eltern müssten ihrer Verantwortung stärker nachkommen, meint Heide.

Dass immer mehr Kinder bei Straftaten erwischt werden, stimmt aber nicht: In Österreich wurden von Jänner bis Ende Juli 2009 laut Kriminalstatistik 3464 Delikte von Zehn- bis 13-Jährigen gezählt (–17,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum). Aber: Es wurden 419 Kinder zwischen sechs und zehn Jahren ausgeforscht, die kriminelle Taten begangen haben sollen oder zumindest dabei gewesen sind. Das sind um fünf mehr (+1,2 Prozent) als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Sie schließen sich meist Älteren an, die sie als „Vorbilder“ betrachten. Dass Sechs- bis Zehnjährige allein losziehen und Straftaten begehen, halten erfahrene Kriminalisten für unwahrscheinlich.

„Solche Ausreißer hat es immer schon gegeben“, sagt Katharina Beclin vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien. „Man kann nicht von einem neuen Trend sprechen.“ Die überwiegende Zahl der von Unmündigen (unter 14-Jährigen) verübten Straftaten werden als „leichte Delikte“ klassifiziert, wie etwa Diebstähle an Gleichaltrigen oder Jüngeren sowie Sachbeschädigungen. Das bestätigt auch die Polizei. In diesen Fällen geht die Straftrechtlerin von einem „normalen Grenzenaustesten“ aus, „das nach der Jugendphase wieder vorbei“ sei.

„Oft nicht ernst genommen“

Ähnlich sieht das die Psychologin Belinda Mikosz vom Wiener Amt für Jugend und Familie (MA 11): „Es gibt viele Dinge, die früher in den Bereich von Streichen gefallen wären.“ Der berühmte Apfel, den man vom Baum des Nachbarn pflückt – er würde heute eher zur Anzeige gebracht. „Die Toleranz ist geringer geworden.“

Die Gründe für Gesetzesübertretungen seien „vielfältig“, aber, so Mikosz, vor allem unter dem Druck der Clique ließen sich viele Kinder zu Straftaten bewegen. „Mitgehangen – mitgefangen“, lautet ihre Diagnose bei jenem Siebenjährigen aus Bad Ischl. „Er ist verführt oder benutzt worden, weil die anderen wissen, dass er noch strafunmündig ist.“ Oft würde in Cliquen ein Diebstahl als Mutprobe verlangt. Gerade Kinder, die nur über ein geringes Selbstbewusstsein verfügen, beteiligen sich. „Sie klauen, weil sie Angst haben, die Freunde zu verlieren.“

Freilich gibt es auch Fälle, in denen Kinder wiederholt (auch schwere) Straftaten begehen. Kinder, die in ihrer späteren Jugend zu Wiederholungstätern werden können. Doch nur ein sehr kleiner Teil der Unmündigen verübt laut Statistik schwere Straftaten wie schwere Körperverletzung, Raub, Brandstiftung oder gar Vergewaltigung. Bei diesen Kindern könne man oft bereits im Kleinkindalter ein auffälliges Sozialverhalten feststellen, so Katharina Beclin, die kritisiert: „Das wird oft nicht so ernst genommen.“ Gerade in solchen Fällen müsste die Betreuung durchs Jugendamt oder eine Erziehungshilfe für die Eltern aber schon früher einsetzen.

Viele Fälle nicht angezeigt

In Deutschland, wo sogenannte „Dunkelfelduntersuchungen“ durchgeführtwerden, weiß man, dass bei Unmündigen nur neun Prozent der Fälle von leichter Körperverletzung angezeigt werden. Bei Raubüberfällen ist es ein Fünftel.Für Österreich gibt es solche Untersuchungen nicht. Juristin Beclin hält die Daten aber auf die hiesige Situation übertragbar. Und: Das Dunkelfeld bleibe über die Jahre gleich groß – für sie der Beleg, dass die Kinderkriminalität nicht ansteige. Was ansteige, sei die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2009)

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