Politisches Vabanquespiel oder Harakiri?

Yoshihiko Noda
Yoshihiko Noda(c) AP (Koji Sasahara)
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Japans Premier Noda ruft vorgezogene Neuwahlen aus – trotz desaströser Umfragewerte. Japans Medien waren sich nicht einig, ob es ein Akt der Verzweiflung oder der Versuch eines Befreiungsschlages war.

Tokio. Die Auflösung des Parlaments zwecks vorgezogener Neuwahlen am 16. Dezember sollte ein Paukenschlag werden. Aber mit seiner Vorankündigung am Mittwoch hatte Premier Yoshihiko Noda die Überraschung schon verspielt. Die oppositionellen Liberaldemokraten (LDP) konnten sich beim verbalen Schlagabtausch im Tokioter Reichstag genüsslich zurücklehnen und betont siegessicher den politischen Harakiri ihres Kontrahenten beobachten. Japans Medien waren sich danach nicht einig, ob Nodas Vorstoß ein Akt der Verzweiflung oder der Versuch eines Befreiungsschlages war.

Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass dieses Spiel nicht zugunsten der seit 2009 regierenden Demokratischen Partei (DPJ) ausgehen kann. Koichi Nakano, Politikprofessor an der Tokioter Sophia-Universität: „Noda wollte souverän wirken, in Wirklichkeit jedoch war er ein Getriebener.“ In seiner prekären Lage schien der Regierungschef am Ende mehr daran interessiert, „seine Reputation als großer Staatsmann zu retten, statt seiner Partei zu dienen“.

Blockadepolitik im Oberhaus

Noda war schon seit Monaten handlungsunfähig. Mit ihrer Mehrheit im Oberhaus konnte die Opposition Gesetzesvorhaben der Regierung verzögern oder gar blockieren. Ein Nachtragshaushalt, der den Wiederaufbau der Erdbebenregion finanzieren und die kriselnde Wirtschaft stimulieren sollte, lag auf Eis. Zudem verlangte das Oberste Gericht eine Wahlrechtsreform, die Abschaffung von mindestens 50 Direktmandaten und die Verschiebung des politischen Gewichts von der Land- auf die Stadtbevölkerung.

Die Opposition war zum Deal bereit, aber nur unter der Bedingung, dass der Premier Neuwahlen ausruft, weil sie im Volk derzeit einfach bessere Karten hat. Die Popularität der Regierung befindet sich im Sinkflug. Noda selbst hat sich vor allem mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer ins Abseits manövriert. Diese politisch vernünftige Maßnahme, die angesichts der extrem schnell alternden Gesellschaft zur Finanzierung der Sozialnetze notwendig ist, findet in der breiten Öffentlichkeit keine Zustimmung und stößt auch in der Regierungspartei auf Widerstand. Mehrere Fraktionsmitglieder verweigern die Gefolgschaft, sechs sind schon aus der Partei ausgetreten, Noda hätte demnach in den nächsten Tagen auch seine eigene Mehrheit im Unterhaus verloren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2012)

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