Wolfram Lotz: „Wo ist die Rettung?“

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Wolfram Lotz über sein Stück „Einige Nachrichten an das All“ (Premiere am 23.11.) und über die Angst der Menschen, im Universum zu verschwinden.

Die Presse: Ist Ihr Stück ein ungewöhnlicher Beitrag zu Weihnachten? Die Rahmenhandlung ist ein Krippenspiel in der Kinder-Onkologie.

Wolfram Lotz: Ein Krippenspiel war das erste Theaterstück, das ich gesehen habe, und das, das ich am häufigsten gesehen habe. Ein Krippenspiel endet positiv, Rettung wird versprochen. Aber ich frage mich, wo die Rettung ist. Wenn krebskranke Kinder dieses Krippenspiel spielen, dann entsteht eine große Frage.

In Ihrem Stück spielen auch Behinderte mit. Besteht da nicht die Gefahr der Bloßstellung?

Ich schreibe literarische Texte, damit die Inhalte und Formen auf die Bühne kommen. Um das Medium vom Text zur Inszenierung zu wechseln, braucht es aber eine Übersetzung, kurz: Es muss etwas anderes werden, um das Gleiche zu sein. Nur weil jemand auf die Bühne geht, wird er noch nicht bloßgestellt. Die Frage ist doch, wie dort mit jemandem umgegangen wird, inwiefern zum Beispiel eine „Behinderung“ als ein Fehler ausgestellt wird und dieser Vorgang dann nicht reflektiert wird. Im Stück wird auch gefordert, dass der auftretende Kleist stottern soll, wie er es wohl auch getan hat, und wie ich es im Übrigen auch tue. Da würde niemand sagen: Oh, ein Behinderter. Stottern gilt als zu schwach, wird noch nicht als „Behinderung“ gesehen, aber es behindert mich beim Sprechen. Es ist eine Frage der Markierung.

Worauf wollen Sie hinweisen?

Jeder Körper bringt Eigenheiten mit sich, die auf bestimmte Weise theatral wirksam werden, theatral Sinn machen. Es gibt da für mich keinen Grund, grundsätzliche Unterschiede zu machen. Vielleicht tritt auch jemand auf, der eine Hasenscharte oder große Ohren hat.

Beckett und Pirandello sind in diesem Text. Es gibt verschiedene Handlungsstränge. Einer ist: Gewöhnliche Leute dürfen nicht auf die Bühne. Diese ist wichtigen Herrschaften vorbehalten.

Ja, es geht auch um die Frage, wie man Leben bewertet, nämlich in unserer Gesellschaft letztlich danach, ob jemand für das große Ganze nützlich ist oder nicht. Das wird kritisch thematisiert. Es gibt ein Paar, zwei Theaterfiguren, denen im Stück ständig das Existenzrecht abgesprochen wird, weil sie angeblich keine Funktion für das Stück hätten, weil sie sich nicht konkret einbringen in die Handlung. Dabei sind sie aber da, und ich denke: Das reicht. Das Stück sagt ja auch: Am Ende sind wir alle nur einfach so da. Das ist einerseits entsetzlich, aber es kann auch eine Solidarität dadurch entstehen.

Ein sogenannter „Leiter des Fortgangs“ tritt auf. Ist das Gott? Er gibt dem Alleinerzieher Klaus Alberts seine einzige Tochter Hilda zurück, die bei einem Autounfall ums Leben kam.

Ich denke nicht, dass der Leiter des Fortgangs Gott ist. Er versucht nur, aus dem Stück, in dem er sich befindet und dessen Funktionär er ist, das Beste zu machen, es so zu gestalten, dass man nicht bemerkt, dass alles sinnlos ist. Ebenso wie aus seiner Existenz, die er, weil sie keinen Sinn ergibt, mit wahlloser Aktivität füllt, um nicht mit der Leere konfrontiert zu sein. Dass der Leiter des Fortgangs dem Vater seine tote Tochter zurückgibt, wird als Theaterhokuspokus entlarvt. Es wird auf die Wirklichkeit verwiesen, und darauf, dass das leider unmöglich ist, dass es nicht geht.

Geht es da um das, was von uns bleibt? Weltraumschrott etwa. Ist das eine Komödie oder eine Tragödie?

Es geht um unser Problem, unsere Angst, einfach zu verschwinden in diesem Universum. Ich weiß nicht, ob das Stück eine Farce, eine Tragödie, eine Komödie oder was auch immer ist. Ich habe versucht, hier quer durch alle Wirklichkeitsschichten hindurchzuschreiben, vom Erbsenpüree bis zur Sternexplosion, vom Schnupfen bis zum Sterben. Für mich sind das Komische und das Tragische nicht trennbar. Komik entsteht durch einen Kollaps von Sinn, aber wenn ein Sinnsystem zusammenbricht, wenn etwas keinen Sinn mehr macht, dann ist das doch tragisch.

Es gibt jetzt so viele ganz gute neue „well-made plays“ mit Konversation und ein bisschen Entgeisterung, Entgleisung. Ihr Stück wirkt experimenteller. Traut sich das Theater zu wenig?

Nein, das Theater traut sich nicht per se zu wenig. Aber die zeitgenössische Dramatik traut sich im Normalfall zu wenig, vor allem zu wenig Literatur traut sie sich.

In Ihrem Text werden Prominente in einer Fernsehshow vorgeführt, die Nachrichten an das All senden sollen, aber nur ein einziges Wort, Sprechblasen. Sie mögen Fernsehen nicht besonders – oder?

Ich bin kein Fernsehfan, das ist richtig. Aber das Fernsehen ist für mich insofern interessant, als ich denke, dass es immer noch das Medium ist, an dem sich am besten die Bedürfnisse der Mehrheit ablesen lassen. Insofern gibt das Fernsehen auch Aufschluss über unsere Gesellschaft.

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen? Was war wichtig für Sie?

Ich habe als Kind exzessiv gespielt, immer allein für mich, das reichte mir. Ich habe mich vielleicht auch etwas später entwickelt. Ich habe, bis ich 15 Jahre alt war, mit Lego und Playmobil gespielt, und das hörte erst auf, als ich anfing zu schreiben. Zunächst Liedtexte, dann Texte ohne Musik. Aber letztlich ist der Impuls zu schreiben wohl bei mir der gleiche Impuls, mit dem ich mich als Kind dem Spielen zugewendet habe.

Zur Person

Wolfram Lotz wurde 1981 in Hamburg geboren. Er ist der Sohn eines Apothekers, wuchs im Schwarzwald auf, studierte Literatur in Konstanz. „Einige Nachrichten an das All“ wurde u.a. 2010/11 bei den Werkstatttagen des Burgtheaters entwickelt und in Weimar uraufgeführt. Die österreichische Erstaufführung inszeniert Antú Romero Nunes mit Ignaz Kirchner, Daniel Sträßer u.a. ab 23.11. [Jürgen Beck]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2012)

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