Sektenfilm "The Master": Auf Sand gebaut

(C) Senator
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Philip Seymour Hoffman brilliert als Kultführer im Nachkriegsepos, „The Master“, von Paul Thomas Anderso. Das angestrebte Zeitbild bleibt im Vagen. Ab Freitag im Kino.

Die Schlüsselszene ist der Rorschachtest: Weltkriegsheimkehrer Freddie Quell (Joaquin Phoenix) wird der erste Tintenfleck hingehalten. Auf die Frage, was er sehe, sagt er nur „a pussy“. Nächster Tintenfleck – selbe Antwort. Und so weiter: Bei jedem Blatt sieht Freddie eine Vagina. Zu Anfang von Paul Thomas Andersons Film „The Master“ hat Freddie am Strand eine Sandfrau unter Beifall seiner umstehenden Navy-Kollegen bestiegen, dann unbefriedigt von ihr abgelassen, um sich schließlich im Sand, zärtlich fast, neben sie zu kuscheln.

Zwischen diesen zwei Szenen hat Freddie bei einem seiner selbstgemixten Drinks – Geheimzutaten: Farbverdünner, Petroleum etc. – die Radiomeldung vom Sieg über Japan gehört. Es folgt ein Panorama der USA der Nachkriegsjahre, mit schräger Schlagseite: Denn die Hauptfigur, Freddie Quell, ist nicht nur sichtlich sexbesessen und verweigert soziale Anpassung, sie ist womöglich verrückt. (Phoenix, für den Hauptdarsteller-Oscar nominiert, darf seinen exzentrischen Manierismen freien Lauf lassen.) Im Übrigen erlebt Freddie seine Sandfrau-Begegnung im großen Maßstab nochmals: Er freundet sich an mit Lancaster Dodd (geschmeidig und bewährt gut: Philip Seymour Hoffman, als Nebendarsteller Oscar-nominiert), Anführer einer Sekte, die sich nur The Cause nennt und ebenfalls eine wie auf Sand gebaute Illusion verkauft. Von der wendet sich Freddie irgendwann auch enttäuscht ab, um dann doch in ihren Schoß zurückzukehren: ein ewig rastloser Außenseiter, der eigentlich auch Trost und Geborgenheit sucht.

Inspiriert von L. Ron Hubbards Scientology

Kurzum: Obwohl Anderson seinen Film nach einem bis ins Detail durchkonzipierten und schnell durchschauten Muster gestrickt hat, folgt er zugleich dem Rorschachprinzip. Denn so sehr er sich an den Miniaturen abarbeitet, so vage belässt er gerade die großen Zusammenhänge seines episch angelegten Zeitbilds: The Cause etwa ist klar von L. Ron Hubbards Scientology inspiriert, aber in „The Master“ werden weder Größe noch Bedeutung des Kults je wirklich klar.

Stattdessen bleibt der einer der vielen Rorschachtests des Films: eine Serie von 70-mm-Klecksen, die zur Projektion einladen. Das Nachkriegsamerika als Gesellschaft zwischen Obrigkeitssehnsucht und rebellischen Anwandlungen, zwischen radikalem Individualismus und Anfälligkeit für falsche Propheten. Dodds Privatreligion ist Sinnbild jeglicher Institution, in der Fanatismus angestachelt wird: Zweieinhalb Stunden kreist diese Erzählung von Verführbarkeit um sich selbst, belebt vom Pas de deux der Gegensätze illustrierenden Hauptdarsteller – der charismatische Dodd ist ein Meister der Manipulation, Freddie wird sein Helfershelfer und bleibt doch ein Unsicherheitsfaktor mit seinem Hang zu unkontrollierten Ausbrüchen. Das kann den Aufstieg des Kults aber, so weit die bewusst lückenhafte Erzählung Rückschlüsse zulässt, nicht weiter aufhalten.

Auch das illustriert Anderson in einer Szene sinnfällig und mit etwas eitler Virtuosität: Als beide verhaftet werden, tobt Freddie in der linken Bildhälfte, dieweil Dodd in der Nachbarzelle rechts beruhigend auf ihn einredet. Trotz satirischer Ansätze und gelungener Momente (Hoffmans späte A-cappella-Darbietung von „Slow Boat to China“ lohnt fast, den Film auszusitzen) werden einem Bedeutungsschwere und Kunstwille um die Ohren geschlagen, ohne den Anspruch wirklich einzulösen: Selbst im eigentlichen Kern – eine Liebesgeschichte der beiden ungleichen Männer – regiert Leerlauf. Einst nannte der einflussreiche Filmkritiker Manny Farber das „White Elephant Art“: prätentiös und leblos in seiner aufdringlichen Gewichtigkeit. Nur falls der als Visionär gehandelte Anderson mit seiner Parabel über Hörigkeit die eigenen Anhänger gemeint hat, ist „The Master“ ein subversives Meisterwerk.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2013)

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