Äthiopien: Aufstand der Benachteiligten

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Sicherheitskräfte haben Anti-Regierungs-Demonstrationen blutig niedergeschlagen. Dahinter stehen Konflikte der Volksgruppen.

Addis Abeba. Die Stadtbahn ist der Stolz des neuen Addis Abeba. Auf einer Strecke von rund 30 Kilometern durchquert sie die äthiopische Hauptstadt; für den Bau ließen die chinesischen Unternehmen Strafgefangene aus dem eigenen Land einfliegen. Premier Hailemariam Desalegn will Äthiopien bis 2025 in ein Schwellenland verwandeln. Addis Abeba soll so etwas wie ein pulsierendes Brüssel Afrikas werden, Zentrum internationaler Organisationen und der Afrikanischen Union (AU). Überall wird gebaut: Im Zentrum Geschäftshäuser, am Rande der Stadt schießen Siedlungen für Menschen aus dem Boden, die als Arbeiter in die Stadt ziehen, um der Armut auf dem Land zu entrinnen.

Doch es rumort seit Monaten in Äthiopien, einem der repressivsten Regime Afrikas. Die Volkswirtschaft wächst jährlich um zehn Prozent, doch von dem Wohlstand profitieren nur wenige. Noch immer sind die meisten Menschen bitterarm, 80 Prozent von der Landwirtschaft. Trotz ihres harten Vorgehens sieht sich die Regierung mit wachsenden Protesten konfrontiert, die am Wochenende besonders blutig endeten. Amnesty International sprach von bis zu 100 Toten, darunter fast 70 in Oromia, der Region um die Hauptstadt, und etwa 30 in Amhara im Norden. Viele wurden offenbar von der Polizei erschossen.

Die Proteste in Oromia hatten im Herbst 2015 begonnen, als bekannt wurde, dass die Regierung das Hauptstadtgebiet ausweiten und Teile des Umlands in die Stadt integrieren wollte. Bauern fürchteten, dass sie zwangsweise umgesiedelt werden könnten – eine gängige Praxis in dem Staat, wo privater Landbesitz nicht existiert und Nutzungsrechte schnell entzogen werden, wenn das Land nach Meinung der Regierung anderweitig besser verwendet werden kann, zum Beispiel für Fabriken ausländischer Konzerne. Zwar ließ die Regierung die Pläne fallen, die Proteste setzten sich aber fort und verlagerten sich auch auf politische Forderungen. Die Oromo sind mit über einem Drittel die größte Bevölkerungsgruppe, die sich aber politisch und wirtschaftlich diskriminiert fühlt. In der Politik – inklusive der Regierungspartei EPRDF, die im Parlament alle Sitze hat – sind jedoch die Tigray (circa sechs Prozent) dominant.

In der Region Amhara im Norden protestierten die Welkait, eine Volksgruppe, die sich zu den Amhara zählt. Die Amhara sind mit 27 Prozent die zweitgrößte Volksgruppe, auch sie fühlen sich benachteiligt. Die Untergruppe der Welkait wiederum will erreichen, dass sie mit ihrem Siedlungsgebiet in die Region Amhara integriert und nicht von der Nachbarregion Tigray verwaltet wird. (raa)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2016)

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