Genetik und die Habsburger: Fluch der Inzucht?

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Karl II., der letzte Habsburger in Spanien, war krank, retardiert und blieb kinderlos. Es lag wohl an der Heiratspolitik. Durch seine Krankheit verstarb er bereits mit 39, was die spanischen Erbfolgekriege auslöste.

Die Unterlippe bzw. der sie nach vorne drängende Unterkiefer ist seit Jahrhunderten das Markenzeichen der Habsburger, und keinem war sie so ins Gesicht geschrieben wie Karl II. vom spanischen Ast, der als Letzter seiner Dynastie das Reich regierte, in dem einst die Sonne nie untergegangen war. Unter ihm und mit ihm ging stattdessen dieses Reich unter, zwei Ehen blieben kinderlos, Karl war impotent.

Das war noch ein vergleichsweise geringes Gebrechen: Als Karl II. am 6.November 1661 geboren wurde, zeigte sich bald, dass er verwachsen, krank und in der geistigen Entwicklung gestört war, auch bei der Aufnahme von sozialem Kontakt. Sein Körper war klein, sein Schädel unverhältnismäßig groß, aber was darin war, befähigte ihn erst im Alter von vier Jahren zu sprechen, mit acht konnte er endlich auch gehen, aber die Lippe machte ihm so zu schaffen, dass er kaum essen konnte und sabberte. „El Hechizado“, den „Verhexten“, nannten ihn die Spanier, mit 30 war er ein alter Mann, hatte Ödeme am ganzen Körper, mit 39 konnte er kaum mehr aufstehen, hatte Halluzinationen und Konvulsionen, fiel ins Koma, starb, der Spanische Erbfolgekrieg begann.

Verhexter „Inzuchtkoeffizient“

Was hat ihn verhext? Die Inzucht der Habsburger, die ihre Heiratspolitik nicht immer weitsichtig angelegt haben. Das wird schon lange vermutet, eine Gruppe um den Genetiker Gonzalo Alvarez (La Coruña) erhärtet es nun. Sie hat die genealogischen Daten der spanischen Habsburger über 200 Jahre ausgewertet: Neun der elf Ehen wurden unter Verwandten geschlossen, darunter zwei zwischen Onkel und Nichte. Ein Onkel war Philipp IV., eine Nichte Maria Anna von Österreich, ihr Sohn war Karl II.

In ihm hatte sich die Inzucht extrem akkumuliert: Die Forscher haben den „Inzuchtkoeffizienten“ kalkuliert, er zeigt an, wie viele der Gene, die ein Kind von Vater und Mutter bekommt, identisch sind, homozygot. (Für gewöhnlich kommt von jedem Elternteil eine andere Variante, diese Gene sind dann heterozygot.) Bei Philipp I., dem Gründer der spanischen Dynastie, betrug der Wert 0,025, bei Karl II. 0,254: Jedes vierte Gen hatte er identisch von Vater und Mutter erhalten, so ist es sonst nur beim Inzest zwischen Geschwistern bzw. einem Eltern- und einem Kinderteil.

Auch viele andere spanische Habsburger hatten Werte über 0,20, eine Folge war vermutlich die hohe Kindersterblichkeit: Die Hälfte der Habsburger beendete das erste Lebensjahr nicht, bei spanischen Zeitgenossen war es nur nur ein Fünftel. Bei Karl II. kam möglicherweise hinzu, dass er zwei seltene Erbkrankheiten von Vater und Mutter bekommen hatte: eine Hormondefizienz (CPHD), die u.a. kleinwüchsig und impotent macht, und ein Leiden (dRTA), das für den schwachen Körper und den großen Kopf verantwortlich sein könnte (PLoS ONE, 14.4.).

Allerdings konzedieren die Forscher, dass das „hoch spekulativ“ ist: Zum einen haben sie keine Genanalysen ausgewertet – sondern den Koeffizienten nur aus der Genealogie errechnet –, zum anderen ist überhaupt nicht klar, ob Inzucht biologisch verderbliche respektive degenerative Folgen hat oder ob sie nur sozial tabuisiert ist.

INZUCHT: Nachteil/Vorteil?

Inzucht (vor allem die engste Form: Inzest zwischen Geschwistern oder Eltern/Kindern) ist in vielen Kulturen tabuisiert, aber nicht in allen. Ob das eine biologische Grundlage hat, ist unklar: Viele Tiere paaren sich bevorzugt mit Verwandten, sie bringen so ihre Gene optimal in die nächste Generation.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2009)

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