Hohe Kunst: Der Berg kehrt zurück

Berg kehrt zurueck
Berg kehrt zurueck(c) REUTERS (MICHAELA REHLE)
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Wiederentdeckung der Alpen: Literaten durchwandern sie. Maler setzen sie kritisch-ironisch ins Bild. Architekten schließen böse Lücken. Designer und Skipädagogen hinterlassen ihre Handschrift im Schnee.

Die Bildideen kommen beim Gehen im Schnee, automatisch.“ Roland Haas malt alpine Szenerien: Reverenzen an Schnee, Eis und Fels, aber auch Schlachtengemälde, in denen schweres Pistengerät und Schneekanonen auffahren. Keinesfalls widersprüchlich ist dieser Ansatz, denn die kritische Position schließt die Faszination und den Respekt ja mit ein. Haas teilt diese Haltung mit einer wachsenden Zahl an Kreativen, die die Berge als schöpferischen Erlebnisraum und Quelle der Inspiration (wieder-)entdecken.

Von Anfang an waren Gipfel für den Vorarlberger ein Thema, ungeachtet der schwankenden Beliebtheit solcher Sujets im Kunstbetrieb. „Während des Studiums hat man mich den Matterhorn-Maler geschimpft“, grinst Haas. Heute frei vom alten Ballast, der auf das Genre der alpinen Landschaftsmalerei drückte – die Nähe zum Kitsch, der Mief der Heimatscholle –, scheinen die Berge nicht nur aus der Sicht von Haas wieder „en vogue“. Eine Einzelerscheinung ist das nicht: Diese Renaissance der Alpen hat ihre Parallelen in sehr vielen Bereichen – im Tourismus, im Sport, im Handel und am anderen, entgegengesetzten Ende eben auch in der Literatur und der Architektur, in Kunst, Musik und Design.

Autor Martin Prinz begegnet der neuen Begehrlichkeit am Alpinen bei aller Identifikation durchaus mit Skepsis. Auf seinem monatelangen transalpinen Marsch von Triest nach Monaco blickte Prinz auf hunderten Seiten hinter die Instrumentalisierung einer Landschaft durch Tourismus, Verkehr und Industrie. „Die Alpen sind schon zu lange touristisch genutzt worden, sodass man dazu neigt, alles, was schön ist, möglichst als Ware zu nutzen.“ Das gelte mitunter auch für einen Kulturbetrieb, der Traditionen reanimiert, die eigentlich gar nicht mehr so gelebt würden. Ein „Ort der Transformation“ sind für Prinz die Berge, die er in seinem Buch „Über die Alpen“ auf eine neue Weise durchschritt: kritisch, was die Wirklichkeit in den Tälern angeht, poetisch in den Höhen, in der Nähe von Peter Handkes „Versuchen“. Wie produktiv das Umfeld auf den Schriftsteller selbst wirkte, zeigte sich daran, dass Prinz während seiner literarischen Wanderschaft zugleich am Film „Der Räuber“ arbeitete.

Schneeschöpferische Arbeit. Seit einiger Zeit füllen die alpinen Welten nicht nur Bücher und Bilder, sondern auch Museen. Im letzten Jahrtausend leistete Wolfgang Kos mit seiner „Alpenblick“-Ausstellung noch echte Basisarbeit. 2006 trug Roland Haas in der „Wintersport“-Schau in dem von ihm kuratierten Kunstforum Montafon Belege für eine Neubewertung zusammen. 2009 brachte die „Schnee“-Ausstellung des Vorarlberger Landesmuseums historische Tiefe und aktuelle Positionen ans Licht. Sie nahm die Fährte der Bedeutungsverschiebungen im Gelände auf – von barocken Votivbildern bis zu Lois und Franziska Weinbergers schrägen „Voodoo“-Schneemann-Fotos. Zuerst waren die Berge den Menschen nicht geheuer. Bezwungen hat sie eine romantische Verklärung, die bis dato die Wahrnehmung prägt: Pseudo-Gauermann'sche Idyllen mit Gipfeln, Almhütten, Kühen, Tannen, Sennerinnen. Doch zeitgenössische Kunst begann den Blick auf den Berg zu ironisieren und anzuspitzen: Fischli und Weiss inszenierten Bettzeug als alpine Topografien, Herbert Brandl fing an, den Everest ins Bild zu setzen. Walter Niedermayr fotografierte Pisten und Gletscher in surrealem Licht.

Heute geht es nicht um Abbildung, sondern um Imaginationen. „So wie Schnee bei den Inuit nicht nur 200Bezeichnungen haben kann, so hat Schnee auch 200 Farben.“ Teilnehmer an seinen Workshops erkennen das schnell, sie gehen mit Haas in die Berge, Aquarellblock im Rucksack, Skier unter den Füßen. In die Silvretta. Und auch in den Himalaya zum Trekking.


Sinnlicher Zugang. Meist hält die Kunst kritischen Abstand zum Tourismus. Und doch gibt es manchmal Gelegenheit für fruchtbare Begegnungen. „Neuschnee“ lautet das Projekt, das die „Edelwisers“ Nicola und Erwin Werdenigg (siehe auch unten) mit James Skone, Professor für Design, Architektur und Environment für Kunstpädagogik an der Universität für angewandte Kunst in Wien, sowie dem „Studio Praxistest“ vorantreiben. Mit dieser Idee könnte sich für den Gast wie für die Destination ein neuer Zugang zum Schnee- und Bergerlebnis ergeben. „Wir sind der Meinung, dass man im alpinen Raum auch etwas anderes erleben kann als das vom Establishment Vorgegebene. Skidestinationen in Österreich sind infrastrukturell sehr hoch entwickelt. Da sehen wir die Grenzen erreicht. Daher stellt sich die Frage nach neuen Qualitäten,“ sagen Nicola und Erwin Werdenigg. Sie meinen damit „lustvolle Wahrnehmung in einem Lebensraum abseits von Leistung, Stress und Beschleunigung.“

Im Kühtai zeigt man Bereitschaft, sich auf einen kreativen Zugang zum Schnee einzulassen. „Skifahren ist eine extrem visuell geprägte Tätigkeit. Aber eigentlich hört man beim Skifahren auch sehr viel. Es ist uns nur nicht so bewusst“, sagt Nicola Werdenigg. Um einmal quasi mit den Ohren Ski zu fahren, hat sich das Studio Praxistest eine einfache Technologie ausgedacht: Auf die Skier werden Körperschallabnehmer montiert, die Geräusche über Kopfhörer weitergeleitet. „Rutscht man über eine Eisplatte, ergibt das einen ganz anderen Klang als das Gleiten durch Pulverschnee“, erklären Robert Zimmermann und Paul-Reza Klein. Aus dem Sound lässt sich Atmosphärisches heraushören, Wind, Tempo. So hat sich vermutlich kein Skifahrer bisher wahrgenommen. Fürs Erste finden im Kühtai Workshops statt. James Skone betont den stark erforschenden, den „wissenschaftlich-künstlerischen“ Charakter. Daraus soll als Fernziel eine fixe Einrichtung, ein „Schneelabor“ entstehen.

Piste, Lifte, Hütten – „alles existiert vor Ort, man muss es nicht neu erfinden. Wir wollen Bestehendes in einen neuen Kontext stellen“, erklären die „Neuschnee“-Macher. Warum nicht durch eine temporär aufgestellte Lochkamera fahren und die Berge auf den Kopf gestellt betrachten? Oder eine eigene Piste entwerfen? Es beginnt ja schon im Kleinen: Eine Rennstrecke einmal absichtlich im Schneckentempo fahren. Im Schnee herumkugeln, um zu fühlen, wie er sich ein paar Meter weiter oben anders anfühlt als unten. „Die klassische Ästhetik eines Tiefschneehanges ist die des Zopfmusters. Aber man kann auch ein eigene Signatur setzen, wie Graffitikünstler einen 'tag' hinschreiben“, stiften Skone und Werdenigg zum Experiment an.

Städtebauliche Aufgabe. Wie stark sich der Alpen- als Lebensraum verändert, wird nirgendwo sichtbarer als in Architektur und Raumplanung. Erfreulich sind bauliche Veränderungen gerade im touristischen Umfeld, überhaupt, wenn sie struktureller Natur sind. Ein gutes Beispiel liefert hier St.Anton, wo mit der Verlegung der Eisenbahn im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2001 und des Verkehrs aus der Ortsmitte an den Rand sich plötzlich neue Flächen, neue Möglichkeiten auftaten.

Einen entscheidenden Anteil an dem neuen Gesicht der Tourismushochburg am Arlberg hat Architekt Georg Driendl. 2003 baute er das Hotel „Lux Alpinae“, 2006 konnte er sich gegen eine Konkurrenz wie Zaha Hadid oder Heinz Tesar mit einem ungewöhnlichen Entwurf für die Galzigbahn durchsetzen. Ungewöhnlich schon deshalb, weil Driendl das Naturgemäße tat: dem Inhalt eine adäquate Form geben, zumal es galt, eine technische Innovation am Seilbahnsektor sichtbar zu machen – ein Riesenrad, das Gondeln so anheben sollte, dass ein ebener Zustieg möglich war.

Fast gleichzeitig, erzählt Driendl, wurden schließlich die Riesenräder in der Seilbahn, das Fundament und die so luftig wirkende Hülle entwickelt. Hinter der geschwungenen Stahl-Glas-Konstruktion sieht man nun riesige Räder arbeiten. Die erste Liftstütze, die Tiefziehstütze, konnte Driendl – auch das eine Innovation – unter dem Dach integrieren, dessen Achse bewusst Bezug zum Gipfel nimmt. Form und Inhalt finden so in einem neuen Erscheinungsbild zusammen. Alles andere sei, wie die Amerikaner sagten, „customized, drübergestülpt. Bauen ist immer örtlich, ist überall verschieden.“ Das ergebe sich schon aus den klimatischen und topografischen, den kulturellen und tradierten Bedingungen.

Komplexer, wenngleich unspektakulärer war Driendls Arbeit an der Rendlbahn, die im letzten Jahr in Betrieb ging. Hier musste eine schwierige Verkehrssituation gelöst werden. Das gelang. Und es rückten mit den beiden Bahnen zwei getrennte Skigebiete näher, die nun voneinander profitieren. Aber das Entscheidende war, dass sich eine Hinterhofsituation so umgedreht hat, dass hier eine Art Zentrum entsteht. Ein städtebauliches Projekt im neuen Herzen eines schon alten Skiortes.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.01.2011)

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