Die Angst der Juweliere vor Überfällen

Angst Juweliere ueberfaellen
Angst Juweliere ueberfaellen(c) FABRY Clemens
  • Drucken

Seit brutale Überfälle auf Juweliere zur Tagesordnung gehören, befassen diese sich statt mit Uhren und Juwelen mit Sicherheit, hohen Versicherungsprämien und bereiten sich in Seminaren auf den Tag X vor.

Das ist der Albtraum jeder Juweliersfamilie“, gab der Sohn des Juweliers in der Wiener Operngasse 32 im vierten Wiener Bezirk am Donnerstag zu Protokoll. Obwohl der Überfall glimpflich ausgegangen ist. Kurz nach Mittag betraten zwei Männer das Geschäft, baten den 69-jährigen Inhaber, der allein im Geschäft stand, die Batterie einer Uhr zu wechseln. Plötzlich gingen sie mit Pfefferspray auf ihn los, der Juwelier setzte sich heftig zur Wehr und „hat sie quasi aus dem Geschäft geprügelt“, so der 37-jährige Sohn, der von seinem leicht verletzten Vater per Handy zur Hilfe gerufen wurde.

Es ist ein Albtraum, den in Wien heuer Dutzende Juweliere, ihre Familien und Mitarbeiter erleben mussten. Die lange Serie teils brutalster Überfällen nimmt kein Ende, scheint sich im Advent gar zuzuspitzen. Erst vor gut einer Woche wurde ein Juwelier auf dem Stephansplatz zu Mittag von Vermummten gestürmt, die Täter schlugen Schaufenster mit einer Axt ein. Aber der Überfall scheiterte, Passanten stellten die Täter. Nur wenige Stunden später der nächste Überfall in Wien.


Seminare für Tag X. Welches Geschäft ist das nächste? Rastet ein Täter aus, schießt, schlägt mit einer Axt nicht nur auf Vitrinen ein? Für Wiens Juweliere sind diese Fragen eine enorme Belastung. Eine Juwelierin aus Hietzing berichtet von monatelanger Angst, Nervosität, Schlafstörungen, nachdem sie zu Boden gestoßen wurde und mit dem Lauf der Pistole an der Schläfe den Raub mitansehen musste. Stehen Männer, die verdächtig wirken, vor der Tür, rast ihr Herz noch immer, die Szenen des Überfalles tauchen auf. Ein anderer Juwelier, der mehrmals ausgeraubt wurde, konnte nach dem dritten Mal sein Geschäft nicht mehr betreten. Er musste seinen Beruf aufgeben.

Statt mit Edelsteinen, Schmuck und Uhren befassen sich Österreichs Juweliere heute nun mit steigenden Versicherungsprämien, neuen technischen Sicherheitsmitteln und bereiten sich in Seminaren auf den Moment, in dem ein Vermummter ihr Geschäft stürmt, vor. „Wir versuchen vorzubauen“, sagt Alfred Römer, selbst Juwelier am Alsergrund und Obmann seiner Zunft in der Wiener Wirtschaftskammer. „Am wichtigsten ist es zu vermeiden, dass Leib und Leben in Gefahr kommen“, sagt er. Und so organisiert die Kammer gemeinsam mit der Polizei Seminare, demnächst sollen diese auch in den Bundesländern stattfinden.


Höchstnervös bis paranoid.
Was in diesen Seminaren abläuft? Geheim. Wer teilnehmen will, wird genau überprüft, ist man doch höchstnervös, seit Geschäfte genauestens ausspioniert werden. Nur so viel: rechtliche Fragen, Notwehr oder Psychologie – was geht im Täter vor, wie kann ich seine Reaktionen einschätzen? Auch Überfälle werden durchgespielt. Selbst abgebrühte Mensch seien davon „erschrocken“, erzählt Römer. „Aber man hat ein Verhaltensmuster parat, das man aufrufen kann.“ Die Nachfrage nach den Seminare ist groß. Auch die Aufarbeitung eines Überfalls sei wichtig. Obwohl, oder gerade weil über Angst und die Folgen eines Raubs selbst unter Juwelieren noch wenig gesprochen wird. Die Kammer hat dazu mit der Opferschutzeinrichtung Weißer Ring Abkommen zur Betreuung der Opfer geschlossen.

Nicht nur psychologisch, auch wirtschaftlich wird es schwieriger. Die Prämien der Versicherungen steigen. Wird ein Juwelier drei Mal überfallen, kündigt die Versicherung gewöhnlich.

Und so rüsten die Juweliere auf: Sicherheitstüren um zig tausend Euro, Wachpersonal, versperrte Türen, die nur geöffnet werden, wenn der Kunde vertrauenswürdig wirkt. Aber all das bietet keine Sicherheit. Tagelang werden Geschäfte ausspioniert, der Überfall passiert blitzschnell, in dem Moment, in dem ein Wachmann kurz Pause macht. Römer erzählt von einem Fall, bei dem ein seriös wirkender Mann vor einem Geschäft stand. Der Juwelier öffnet die versperrte Tür – schon stürmen vermummte Männer ins Geschäft.


Existenzbedrohende Kosten. Das Aufrüsten der Juweliere hat zumindest nächtliche Einbrüche erschwert. „Vermutlich komme es auch deshalb tagsüber zu mehr Überfällen“, so Römer. Ein Juwelier erzählt, seine Ausgaben für Sicherheit würden heute einen zweistelligen Anteil des Umsatzes auffressen, für kleine Geschäfte können die Anforderungen an die Sicherheit existenzbedrohend sein. Allein in Wien wurden heuer schon 26Schmuckhändler überfallen. Einbrüche sind in diese Statistik nicht eingerechnet. Österreichweit wurden im ersten Halbjahr 14 Juweliere überfallen, ein Jahr zuvor waren es erst acht.

Wer sind die meist vermummten Männer, die – gefühlt – alle paar Tage ein Juweliergeschäft stürmen? 14 der heuer bisher 26Überfälle in Wien schreibt die Polizei den Pink Panthers zu. Dabei handelt es sich laut Interpol um ein loses Gefüge aus vielen vernetzten Gruppen, die weltweit in wechselnden Konstellationen agieren.

Riesiges Netz der Pink Panthers. Die Hintermänner werden im Großraum Belgrad vermutet, dort rekrutieren sie ihre sogenannten Soldaten. Aktiv sind die Panthers seit dem Jahr 2003, der Name stammt übrigens von ihrem ersten spektakulären Coup in London. Da dieser einem Raub in dem Film „Der rosarote Panther“ glich, wählte die Londoner Polizei diesen Namen. Allein in Wien sollen die Pink Panthers heuer schon einen Schaden von rund drei Millionen Euro angerichtet haben, in den vergangenen zehn Jahren waren es in ganz Österreich 23 Mio. Euro Schaden. „Die Pink Panthers erkennt man am Modus Operandi: Sie sind unglaublich schnell und extrem gewaltbereit“, sagt Silvia Strasser vom Bundeskriminalamt.

Die Überfälle, die nicht diesen Banden zugeschrieben werden, verübe vorwiegend eine „österreichische Zielgruppe“, wie Strasser sagt. Oft im Zusammenhang mit Beschaffungskriminalität. Auch Trittbrettfahrer sind unterwegs. Aber die Aufklärungsquote ist hoch. Jeder zweite Juwelierraub wurde laut BKA heuer aufgeklärt.


Ständiges Aufrüsten. „Ich bin froh, dass die Aufklärungsquote hoch ist. Aber, wenn ich das so sagen darf, es sind schon grausliche Zeiten für Juweliere“, sagt Alfred Römer. Derzeit versuchen Juweliere, den Räubern die blitzschnellen Überfälle zu vermiesen. Wird Alarm ausgelöst, so Römer, sei die Polizei in ganz Wien tagsüber in weniger als drei Minuten im Geschäft. Ein Profi-Überfall der Panthers dauert ein, zwei Minuten. Gelingt er in dieser Zeit nicht, wird es zu gefährlich. Also bauen Juweliere derzeit Schlösser ein, die sich erst zeitverzögert öffnen, oder speziell beschichtete Vitrinen, die zu durchbrechen Zeit kostet. „Es ist ein ständiges Aufrüsten“, sagt Römer und mahnt auch zur Wachsamkeit. Schließlich gelingt es, wie die jüngsten Fälle zeigen, manch Juwelier oder Passanten selbst, einen Überfall zu vereiteln.

In Zahlen

26 Überfälle auf Juweliere wurden heuer bereits allein in Wien gezählt. 14 dieser Überfälle schreibt die Polizei den „Pink Panthers“ zu, einem weltweit tätigen, äußerst brutalen Bandennetzwerk, dessen Wurzeln im Großraum Belgrad vermutet werden.

Von acht auf 14. Die Zahlen der Kriminalstatistik machen den Anstieg deutlich. Wurden im ersten Halbjahr 2012 in ganz Österreich 14Überfälle auf Juweliere gezählt, waren es ein Jahr zuvor erst acht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.