Masaharu Morimoto: Asymmetrie & Kontrast

(c) Quentin Bacon für collection Rolf Heyne
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Nicht nur Sushi und Maki zeigen, wie bedeutend
die traditionelle Ästhetik des Anrichtens in Japan ist. Auch zeitgenössische Köche wie Masaharu Morimoto brauchen Regeln, die sie brechen können.

(c) Quentin Bacon für collection Rolf Heyne

TIPP

Ein Büschel Krauspetersilie, vielleicht um der Modernität willen ein halber Cocktailparadeiser, ein paar Zacken in die Zitronenhälfte zum Schnitzel gekerbt, quasi „auf Krone verfeinert“ – und fertig ist die typisch österreichische Tellerdekoration. Eh hübsch, eh unnötig. Inhaltlose Behübschung also, wenn überhaupt, die nichts mit dem Konzept einer Speise zu tun hat. Auch aus klassisch österreichischen Kochbüchern der vergangenen Jahrzehnte wird ersichtlich, dass es hierzulande keine Tradition des Anrichtens, der andächtigen, bewussten Speisenpräsentation gibt. Ein zum Fächer aufgeschnittenes Essiggurkerl galt lange Jahre fast schon als Überdrüber, eine eingelegte Kirsche krönte das Schlagoberstüpfelchen auf dem i.

Mehr als lustig-bunt. Anders in Japan. Und zwar über die bekannten und allseits beliebten bunt-geometrischen Sushi-Maki-Variationen hinaus. Verschiedene Präsenta­tionsstile nach bestimmten Grundsätzen der japanischen Ästhetik, die überdies alle eigene Namen wie „Sugimori“ oder „Tawaramori“ tragen, prägen Japans Küche auch heute noch. Und nur wer die Regeln ganz genau kennt, kann es sich leisten, sie zu brechen. Nach diesem Motto arbeitet Masaharu Morimoto.

Das Design seiner besternten Restaurants in Philadelphia und New York legte er in die Hände von keinen Geringeren als Karim Rashid und Tadao Ando. Für das Design seiner Speisen hingegen ist er selbst zuständig, nachzuvollziehen ist das in seinem neuen Buch „Morimoto“, erschienen in der Collection Rolf Heyne.

Asymmetrie und Kontrast etwa sind zwei Pfeiler der Ästhetik seiner Küche. Subtile Asymmetrie, wohlgemerkt. „Ich lege zum Beispiel Sushi nie so auf, dass sie parallel zu den Kanten eines rechteckigen Tellers liegen. Stattdessen richte ich sie diagonal zu den Tellerkanten an, denn das ist viel anregender für das Gehirn.“ Die einzelnen Gänge müssen optisch auf den vorherigen Bezug nehmen, damit ein Menü als Einheit begriffen werden kann.
Apropos Einheit und Kontrast: Anders als auf europäischen Tafeln müssen die einzelnen Geschirrteile in Japan nicht zusammenpassen, die bei uns übliche Jagd auf eine Untertasse, die im geerbten Service fehlt, wird man dort wohl nicht verstehen. Im Gegenteil, je größer die Vielfalt an unterschiedlichen Farben, Formen, Größen und Materialien auf einem gedeckten Tisch, desto besser.

Pädagogische Tricks. „Das Auge isst mit“ kennen wir als betulichen Tipp von diversen Anleitungen auf Reispackungen oder aus Kochzeitschriften. Gemeint ist da­mit meist, dass das Essen halt noch einen Deut besser schmeckt, wenn ein paar Kräuter darübergestreut sind oder der Teller mit Schokolademalereien verziert wird.

Was Morimoto will, geht aber ein bisschen tiefer: Das Essen muss so schön aussehen, dass die Gäste es unbedingt probieren wollen, auch wenn ihnen davor bisher immer gegraust hat, etwa vor Seeigeln. Morimoto wendet gewissermaßen pädagogische Tricks der ersten Stunde an. Gerade weil die japanische Küche mit ihren klaren Geschmäckern und ihrer spürbaren Reinheit oft so schlicht scheint, muss, wer sich mit höchster Qualität bemerkbar machen will, die Optik als primäre Fesselungstaktik hinzuziehen. Beim Tatar vom Thunfisch etwa durch Anrichten in einer flachen Holzschale, die die Struktur des Fisches wie ein Bild in einem Rahmen präsentiert. Die Beilagen zum Tunken, also Wasabi, Noripüree oder Reiscracker, schlichtet Morimoto in einem weiteren Holz­rahmen dazu.

Nachahmenswerte Sorgfalt. Das mag man vordergründig für unnötiges Gschisti-gschasti halten. Erfreulich und nachahmenswert ist jedenfalls die Sorgfalt, mit der die Zutaten in Japan behandelt und formal zu ganz anderen, neuen verwandelt werden. Rettich etwa wird, wie oben rechts zu sehen, in hauchdünne Bahnen geschnitten. Mit einem simplen Messer per Hand, nicht mit einem Gemüsehobel aus dem Home-Shopping-Kanal, versteht sich. Angesichts dieser Verwandlungskünste ist es kein Wunder, dass Ferran Adrià, besessen von Neuerungen in der Zutatenwelt, die japanische Art des Kochens als paradigmatisch für die Zukunft der Küche überhaupt versteht.

Die dritte revolutionäre „Sprache der Küche“ nach der Nouvelle Cuisine und der spanischen Avantgarde ist in seinen Augen, etwas kryptisch formuliert, „nach Japan zu reisen“. Er selbst geht mit gutem Beispiel voran, verbrachte er doch dort insgesamt schon Hunderte von Tagen.

Morimoto. Die neue japanische Küche.
Collection Rolf Heyne, 30,80 Euro.

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