Melissa-Schuhe: Plastikparadies

MelissaSchuhe Plastikparadies
MelissaSchuhe Plastikparadies(c) Hersteller
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Es muss nicht immer ein Manolo sein: Melissa-Plastikschuhe aus Brasilien machen auch im ­Großstadtdschungel Furore.

Zwar gäbe es an heißen Tagen Angenehmeres anzuziehen als schmelzgefährdete Pantoffel. Doch steigt während der warmen Jahreszeit die Präsenz von Plastiktretern aller Art im Straßenbild sprunghaft an. Mitverantwortlich für den Erfolg von Havaianas, Flip-Flops und Konsorten dürfte die Tatsache sein, dass sie auch im Großstadtdschungel entspanntes Sommerfeeling beschwören. Ein naher Verwandter der hippen Schlapfenarmada macht sich indes altbackener aus: Kaum einer käme schließlich auf den Gedanken, seine seeigelresistenten Unterwassersandalen im Zuge mondänen Flanierens ausführen zu wollen. ­Dabei stand genau ein solches Modell namens „Spinne 1979“ am Anfang einer mittlerweile 30 Jahre andauernden Erfolgsgeschichte, die in Brasilien bunte Blüten treibt und Kreativkoryphäen aus aller Welt involviert. Wenn im größten Land Südamerikas in modischem Zusammenhang von „Melissa“ die Rede ist, geht es mit Sicherheit um den größten Accessoireproduzenten vor Ort. Bei aller Formen- und Farbenvielfalt in der Erstellung auffälliger Schuhkollektionen gibt es bei Melissa nur eine zwingende Vorschrift: Aus Plastik müssen sie sein.

Kunst-Stoff. Wobei man mit dem Begriff „Plastik“ einem ambitionierten Forscherteam Unrecht tut – denn alle Melissa-Modelle werden aus dem patentierten Material Melflex gefertigt. Darüber hinaus entwickelt man unter strenger Geheim­haltung Verfahren der Oberflächenbehandlung, was zuletzt die Herstellung von Modellen mit Samt-Haptik erlaub­te. Der japanischstämmige Chefdesigner Edson Matsuo arbei­tet seit 25 Jahren für das in Rio Grande do Sul ansässige Unter­nehmen Grendene, dessen größte Tochter Melissa ist: „Bei uns entsteht alles in Teamarbeit – mit Einzelkämpfertum ­wäre die Firma nie dahin gekommen, wo sie heute steht. Die Kreativen arbeiten eng mit der technischen Abteilung zusam­men, das ist einer der Schlüssel zu unserem Erfolg.“ Während der Fokus auf Materialentwicklung und Innovation entscheidend für Grundlagen der Kollektionserstellung ist, lässt sich ihre große Beliebtheit nur durch die frech-fröhliche Ästhetik dieser Schuhe erklären. Der Experimentierfreude werden von einem beliebig formbaren Material wenige Grenzen ­gesetzt.

Auf internationaler Ebene ist wohl auch der Umstand entscheidend, dass Melissa einem Brasilien-Topos von Lebens­freude und unbeschwerter Strandkultur entspricht. „Das ist sicherlich eine Erklärung“, pflichtet Matsuo bei. „­Auß­erdem glaube ich, dass die ‚Plastizität‘ von Melissa sich bes­tens mit einer positiven, lustigen, ironischen, kreativen und unkonventionellen Lebenseinstellung verträgt.“ Auch die in Brasilien allgegenwärtige Multikulturalität, so Matsuo, führe zu einer besonderen Offenheit in ästhetischen Dingen, die anderswo sehr geschätzt wird. Immerhin bekennen sich Modebewusste weltweit zu Melissas impli­zitem Leitbild des „Fantastic Plastic“. Beth Ditto ließ sich anlässlich des 30-jährigen Firmenjubiläums 2009 gar zu einer handschriftlichen Widmung auf einem ihrer Plattencover hinreißen und formulierte vollmundig: „Melissa changed my life!“

Plastikwunder. Aufsehen erregte Melissa auch immer wieder durch die Kooperation mit internationalen Designstars aus verschiedenen Bereichen. Sogar die Doyenne der biomorphen Architektur, Zaha Hadid, gestaltete ein wild gewun­denes Schuhmodell: Die üblichen Konstruktionsprobleme, auf die Hadids Entwürfe stoßen, stellten sich für die Plastikprofis in Brasilien offenbar nicht. Doch auch Artisten des internationalen Modezirkus bemühte man bereits – mit Jean-Paul Gaultier und Vivienne Westwood legten zwei echte „Adultes terribles“ eigene Capsule Collections vor. „Die Auswahl unserer Kooperationspartner“, so Chefdesigner Matsuo, „ergibt sich aus einer als natürlich empfundenen Affinität.

Dabei geht es um eine Art Nahegefühl, Konvergenz in unseren Zielen und Absichten – oder einfach ein bestimmtes Glänzen in den Augen. Im Grunde führt das ­dazu, dass ein Projekt im Geiste fast schon abgeschlossen ist, wenn wir uns zum ersten Mal mit den Gastdesignern zusam­mensetzen.“ Auch mit den für ihre Anstrengungen im Bereich sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit bekannten Campana-Brüdern kooperierte Melissa bereits und zog sich so ein blassgrünes Westchen über. Selbst wenn man sich bei einem zu hundert Prozent aus Kunststoff bestehenden Produkt mit einem Ökoimage im herkömmlichen Sinn ein bisschen schwertut: Man pocht wenigstens auf den Aspekt der Wiederverwertbarkeit des Materials.

Duftwolken. Einen durchaus adäquaten Flagship-Store unterhält das Label in der exklusiven Rua Oscar Freire in São Paulo: Die Galeria Melissa wurde vom jungen Architekten Muti Randolph als kunterbuntes Designparadies in wechselndem Gewande entworfen. Um die Unkonventionalität der Marke zu unterstreichen, wird in regelmäßigen Abständen die Fassade der Boutique neu gestaltet – Anfang 2010 wurden etwa Künstler von der renommierten Street-Art-Gale­rie Choque Cultural für diese Aufgabe eingeladen. ­Betritt man übrigens dieses Geschäft, das wahrscheinlich sogar in Tokio Aufsehen erregen würde, schlagen einem ­sofort süßlich-synthetische Duftschwaden entgegen: Melissa strebt offen­bar nach Gesamtkunstwerk-Charakter. Seit Jahren wird der Plastikmasse nämlich eine besondere Tutti-Frutti-Rezep­tur beigemengt, die als typischer „cheirinho“ (dt.: Düftchen) von Melissa-Stammkundinnen sofort mit ­ihrem Lieblingsschuhwerk assoziiert wird. Über wohlriechendes Plastik an den Füßen können sich übrigens demnächst auch Männer freuen: Der Prototyp M:Zero geht als das erste Herrenmodell bald in Serienproduktion. Schließlich möge auch in Gefilden der Kunststofffantasterei modi­sche Gleichberechtigung herrschen. Ab-, pardon: ansatzweise. 

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