Die späte Milde des Barack Obama

Obama bei seiner letzten Pressekonferenz als Präsident am Mittwoch.
Obama bei seiner letzten Pressekonferenz als Präsident am Mittwoch.APA/AFP/BRENDAN SMIALOWSKI
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Der abtretende Präsident ordnet an, dass Datendiebin Chelsea Manning vorzeitig aus der Haft entlassen wird. Damit will Obama der Enttäuschung über seine harte Linie entgegenwirken.

Washington. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind US-Präsidenten bisher elfmal gegen Regierungsmitarbeiter, die geheime amtliche Dokumente an die Öffentlichkeit gespielt haben, mit dem drakonischen U. S. Espionage Act vorgegangen, der im Ersten Weltkrieg zur Verfolgung feindlicher Agenten im Land erlassen worden war. Barack Obama, der scheidende Amtsinhaber, ließ sieben dieser Verfahren einleiten. Der Präsident, der auf einer Welle pazifistischer Empörung über die beiden nahöstlichen Kriege der vorangegangenen Bush-Regierung ins Weiße Haus gewählt wurde und schon kurz nach Beginn seiner Amtsperiode den Friedensnobelpreis erhalten hat, ist in seinen acht Jahren mit bemerkenswerter Konsequenz gegen Whistleblower und Leaks, also behördeninterne Informanten und ihre Enthüllungen kontroversieller Geheimakten, vorgegangen.

Politische oder sexuelle Krise?

Im wohl prominentesten Fall unter dem Espionage Act ließ Obama nun, wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit, Milde walten. In der Nacht auf Mittwoch verfügte das Weiße Haus, dass Chelsea Manning im Mai vorzeitig aus der Haft entlassen werden soll. Die Insassin des Militärgefängnisses in Fort Leavenworth, Kansas, hatte vor Beginn ihrer Geschlechtsumwandlung als Bradley Manning für weltweite Schlagzeilen gesorgt.

Manning war ab Ende 2009 als Informationsanalyst der US-Armee im Irak stationiert und damit beauftragt, die Tätigkeiten aufständischer Kampfgruppen zu überwachen. Dabei hatte Manning Zugang zu geheimen Daten der Streitkräfte und der US-Diplomatie, den sie dafür nutzte, verbotenerweise rund eine Dreiviertelmillion E-Mails und diplomatischer Depeschen auf CD-Roms zu brennen und WikiLeaks zu übergeben, der damals noch relativ unbekannten Plattform zur Veröffentlichung von Regierungsgeheimnissen.

Dafür verurteilte ein Militärgericht Manning zu einer 35-jährigen Haftstrafe. Unmittelbar nach diesem Schuldspruch erklärte Manning, fortan als Frau leben und den Namen Chelsea tragen zu wollen. Sie klagte das Pentagon erfolgreich auf Finanzierung einer hormonellen Therapie zur Einleitung einer Geschlechtsumwandlung und erhielt die Erlaubnis, sich zu schminken (eine Operation wurde ihr allerdings verweigert). Die harschen Verhältnisse monatelanger Einzelhaft veranlassten Manning zu zwei Selbstmordversuchen. Das Weiße Haus zitiert diesen Seelendruck und den Umstand, dass Manning ihre Schuld eingestanden hat, als Gründe für die Begnadigung, die am 17. Mai in Kraft tritt.

Manning erklärte, ihre Einsicht in US-Angriffe auf Zivilisten hätten sie über die Zwecke des Irak-Kriegs desillusioniert und zum Datendiebstahl veranlasst. Doch im Zuge der Gerichtsverhandlung kam zutage, dass eine persönliche sexuelle Krise eine ebenso bedeutsame Rolle spielte. Manning habe im Irak erkannt, dass er nicht bloß homosexuell sei, sondern eine Frau sein wolle. Zornausbrüche und katatonische Anfälle folgten.

»Ich schenke den Tweets von Herrn Assange nicht allzu viel Aufmerksamkeit.“

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Barack Obama über den WikiLeaks-Gründer

Keine Milde für Snowden

Die Milde für Manning wirft die Frage auf, wieso Obama nicht auch Edward Snowden begnadigt, der im Jahr 2013 im Rahmen seiner Arbeit für die National Security Agency deren umfassenden globalen E-Mail- und Telefonverkehr an die Medien brachte. Snowden floh über Hongkong nach Moskau, wo er einen Aufenthaltstitel erhielt, der am Mittwoch vom Kreml um drei Jahre verlängert wurde; in einem Jahr könne er einen russischen Pass beantragen. Das Weiße Haus machte am Dienstag klar, dass Snowden von Obama keine Milde erwarten könne. Die Begründung dafür: Manning habe sich, anders als Snowden, der Militärjustiz gestellt und ihre Schuld eingestanden. Auch mit dem auf Twitter geäußerten Angebot von WikiLeaks-Gründer Julian Assange, sich der US-Justiz zu stellen, will sich Obama nicht befassen: „Ich schenke seinen Tweets nicht allzu viel Aufmerksamkeit“, sagte er am Mittwoch auf seiner letzten Pressekonferenz als Präsident.

Mannings Datendiebstahl war problematischer als jener Snowdens. Denn ihre wahllose Datenweitergabe gefährdet das Leben von Dissidenten in totalitären Regimen. Simbabwes Diktator, Robert Mugabe, ließ zum Beispiel den Oppositionsführer Morgan Tsvangirai in Folge der Offenbarungen strafrechtlich verfolgen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2017)

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