EU-Staaten seien verpflichtet, Flüchtlingen ein Visum zu erteilen, wenn ihnen Folter drohe, sagt ein EuGH-Generalanwalt. Ein Urteil wird in wenigen Wochen erwartet.
Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern wie Syrien können künftig womöglich Schutz in der Europäischen Union suchen, ohne sich in die Hände von Schleppern begeben zu müssen. Die EU-Staaten seien verpflichtet, Flüchtlingen ein Visum zu erteilen, wenn die Gefahr der Folter oder anderer unmenschlicher Behandlungen drohe, hieß es in dem am Dienstag veröffentlichten Schlussanträgen von Generalanwalt Paolo Mengozzi vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH).
Im konkreten Fall geht es um ein syrisches Ehepaar aus dem lange umkämpften Aleppo mit drei kleinen Kindern. Die Familie hat im libanesischen Beirut humanitäre Visa für Belgien beantragt, um dort Asylanträge stellen zu können. Humanitäre Visa gelten nur für einen oder mehrere Staaten des Schengen-Raums.
Doch kaum ein Migrant kann derzeit auf ein solches Papier hoffen. Die meisten Flüchtlinge gelangen nur mit Hilfe krimineller Schlepperbanden nach Europa. Und die EU-Staaten wollen auch diese unerwünschte Migration soweit wie möglich verhindern. Mengozzis Argumente stellen diese Politik grundsätzlich in Frage.
Die Familie aus Syrien berichtet von grauenhaften Erlebnissen. Einer der Antragsteller ist nach eigenen Angaben von einer bewaffneten Gruppe entführt, geschlagen und gefoltert worden, bevor er schließlich gegen Lösegeld freigelassen wurde. Als orthodoxe Christen seien sie zudem in Gefahr, wegen ihres Glaubens verfolgt zu werden, argumentiert die Familie.
Belgien lehnte Antrag aus Angst vor Migrantenflut ab
Belgien lehnte den Antrag unter anderem mit der Begründung ab, dass es nicht zur Aufnahme aller Personen verpflichtet sei, die katastrophale Situationen erlebt hätten. Der für Migration zuständige Minister Theo Francken sagte im November, dass mit einer Flut von Anträgen zu rechnen sei, wenn sein Land Flüchtlingen gewöhnliche Touristenvisa gewähre.
Das lässt Generalanwalt Mengozzi nicht gelten. Da sich die Mitgliedstaaten bei Visumentscheidungen auf eine EU-Verordnung stützten, gelte auch die EU-Grundrechtecharta. Darin wiederum sind die Rechte auf Asyl und das Verbot von "Folter oder unmenschlicher und erniedrigender Strafe oder Behandlung" festgeschrieben. Diese Rechte hätten die Behörden ohne jede räumliche Einschränkung zu wahren. Wenn Menschen in höchster Gefahr seien, müssten EU-Staaten ihnen die Einreise erlauben - unabhängig davon, ob es zwischen der betreffenden Person und dem Zielland eine Verbindung gibt.
Vor allem 2015 versuchten viele Flüchtlinge aus Syrien, mit Hilfe von Schleppern sich in der EU in Sicherheit zu bringen. Seit den Vereinbarungen der EU mit der Türkei im Frühjahr 2016 kommen aber weit weniger Flüchtlinge aus Syrien über die Ägäis nach Europa. Stattdessen sollen die Syrer in der Türkei versorgt werden. Asylanträge können bisher nur in der Regel innerhalb der EU gestellt werden, nicht bei den Botschaften oder Konsulaten der 28 EU-Länder in Drittstaaten.
Das Urteil in der Rechtssache wird in wenigen Wochen erwartet. In den meisten Fällen folgen die Luxemburger Richter der Analyse des Generalanwalts.
(APA/Reuters)