Von Betrug in Millionenhöhe, mangelnder Qualität und Parallelgesellschaften: Die Skandale in den Wiener Kindergärten sind selbst gemacht.
Die Wiener Kindergärten lieferten in den vergangenen Monaten verlässlich Stoff für reißerische Schlagzeilen: „Salafisten und Islamisten dominieren Wiens islamische Kindergärten“ (© „Der Standard“),„Marmorbrunnen statt Spielzeug“ (© „Die Presse“) sowie „Protzkindergarten ist pleite“ (© „Heute“) titelten die Zeitungen beispielsweise. Die Geschichten dahinter hielten, was die aufsehenerregenden Titel zuvor versprachen. Sie berichteten von skurrilen Betrugsfällen, unzureichender Kontrolle und besorgniserregenden Mängeln.
Die Negativschlagzeilen nahmen Ende des Vorjahres mit einem umstrittenen Projektbericht des Religionspädagogen Ednan Aslan (Uni Wien), der die Entstehung von Parallelgesellschaften in muslimischen Kindergärten anprangerte, ihren Anfang. Darin war von Kindergruppen, die kaum von Koranschulen zu unterscheiden seien, die Rede. Weiter ging es mit einem Förderskandal. Ein Kindergartenbetreiber soll die Stadt um mehrere Millionen Euro (wie viel es genau waren, weiß die Stadt gar nicht) betrogen und mit dem Geld auch Sex- und Drogenpartys außerhalb der Kindergartenzeiten veranstaltet haben. Erst vor einem Monat wurde ein weiterer Betrugsfall publik. Ein Kindergartenbetreiber dürfte sich auf Kosten der Stadt u. a. zahlreiche Marmorfliesen, einen Marmorkamin und einen Marmorbrunnen geleistet haben. Im aktuellsten Fall ist mit Alt-Wien erstmals ein größerer Trägerverein, der 2300 Kinder betreut, betroffen. Der Betreiber soll das Geld der Stadt Wien in ein privates Schloss in Bad Aussee, in eine Reit- sowie in eine Ballettschule der Familie gesteckt haben.
Als Einzelfälle kann man diese Berichte nicht mehr abtun. Vielmehr zeigen sie ein Systemversagen auf. Durch das die Stadt und damit der Steuerzahler nicht nur um Millionen betrogen wurden, sondern zusehends auch das Vertrauen in die Qualität der Kinderbetreuung Kratzer abbekam.
Die Wiener Kindergärten scheint nun die Vergangenheit einzuholen. Die Fehler, die gemacht wurden, liegen zum Teil lang zurück. Manche wurden spät, andere noch gar nicht behoben. Damals, 2009, stand die Stadt unter Druck. Das Pflichtkindergartenjahr für Fünfjährige war politisch paktiert. Die Betreuungsplätze dafür mussten aber erst geschaffen werden. Hinzu kamen die steigende Nachfrage der Eltern und die ehrgeizigen Ziele der Stadt. Man wollte bei den unter Dreijährigen eine Versorgungsquote von 33 Prozent und bei den Drei- bis Sechsjährigen eine komplette Abdeckung erreichen.
Dabei griff man gern auf Private zurück. Mittlerweile werden 65 Prozent der Betreuungsplätze in Wien nicht von der Stadt, sondern von privaten Trägern angeboten. Das ist absolut nichts Schlechtes – vorausgesetzt einer behördlichen Vorgabe und Kontrolle. Doch genau sie hat man in Wien entweder vergessen, höchst schlampig betrieben oder bewusst ignoriert. Das für die Qualitätskontrolle zuständige Amt für Jugend und Familie (MA11) hat dabei ebenso wie die für Finanzielles zuständige MA10 (Wiener Kindergärten) versagt.
Die mangelhafte bis inexistente Kontrolle trieb seltsame Blüten. Qualitativ kann man das bei den privaten Kindergruppen, deren Zahl sich mehr als verdoppelte, ablesen. Die dort statt Pädagogen eingesetzten Betreuer wurden von privaten, nicht näher überprüften Organisationen ausgebildet. Bis vor Kurzem mussten sie nicht mehr als eine Miniausbildung mit 90 Einheiten absolvieren. Nun sind es 400. Die Kindergruppen selbst werden zwar kontrolliert, aber meist nicht ohne Vorankündigung. Betrug kann man so wohl nicht vorbeugen.
Bei den islamischen Kindergärten hat die Stadt wiederum lang lieber weggeschaut. Solche gebe es nicht, zumal die Islamische Glaubensgemeinschaft keine Kindergärten betreibe, hörte man SPÖ-Stadträtin Sandra Frauenberger noch bei Antrittsinterviews sagen. Hier soll 2017 erstmals eine Studie Klarheit bringen.
Die finanzielle Kontrolle wurde vom Stadtrechnungshof zerpflückt. Trotz Förderungen in Millionenhöhe habe es anfangs nicht einmal Aufzeichnungen gegeben. Hier wurde viel verbessert. Man werde stetig professioneller. Betrüger zu finden sei aber immer noch „wie eine Detektivarbeit“, gestand die Leiterin der MA10 kürzlich. Wichtig wäre gewesen, man hätte früher zu schnüffeln begonnen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2016)