Politische Bildung als Roulette: Lehrer ohne Zeit und Ausbildung

Schüler im Unterricht
Schüler im UnterrichtDie Presse
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Die meisten Lehrer halten das Unterrichtsprinzip Politische Bildung für wichtig. Bei der Unterrichtsgestaltung verlassen sie sich sehr oft auf ihre eigenen Ideen.

Wien. Politische Bildung ist in Österreich ein Unterrichtsprinzip. Es sollte also in allen Schulstufen und Schultypen berücksichtigt werden und wie ein roter Faden durch alle Fächer laufen. Doch ob Politische Bildung tatsächlich vermittelt wird, ist ein Glücksspiel, wie eine gestern, Donnerstag, präsentierten Sora-Studie im Auftrag der Pädagogischen Hochschule Wien und der Arbeiterkammer zeigt. Demnach hat mehr als die Hälfte der Lehrer in Wien nach eigenen Angaben keine Zeit für Politische Bildung.

An der Erhebung haben insgesamt 476Lehrer teilgenommen, davon 201 Volksschulpädagogen und 275 Lehrer der Hauptschulen, Neuen Mittelschulen und AHS-Unterstufe (Sekundarstufe I).

Die nötige Ausbildung fehlt

Über 80 Prozent der befragten Lehrer messen der Politischen Bildung in der Schule große Bedeutung zu. Dabei nehmen sie sich selbst in die Verantwortung, was die Vermittlung betrifft: In der Volksschule sehen sich 55 Prozent der Lehrer als selbst für die Politische Bildung ihrer Schüler verantwortlich. In der Mittelstufe nimmt dies allerdings ab, hier sind nur noch 49 Prozent der Lehrer der Meinung, dass sie diese Aufgabe erfüllen müssen.

Ein Drittel der Pädagogen gab allerdings an, dass ihnen die Ausbildung im Bereich Politischer Bildung fehlt. Dementsprechend äußerten die Befragten den Wunsch nach mehr Unterrichtszeit für Politische Bildung und mehr Fort- und Weiterbildung. Doch obwohl es in der Lehrerfortbildung Angebote gibt, hat nur ein kleiner Bruchteil der befragten Lehrer diese auch genutzt.

Und wie wird Politische Bildung tatsächlich unterrichtet? Ein wesentlicher Befund der Studie ist, dass sie nicht wie andere Unterrichtsgegenstände entsprechend den Lehrplänen abgehandelt wird. An die Stelle der Fachdidaktik rückt eine subjektive Umsetzung, die stark vom einzelnen Lehrer abhängt. Mehr als die Hälfte der Pädagogen in der Sekundarstufe I verlassen sich bei der Vorbereitung des Unterrichts vor allem auf eigene Ideen bzw. selbst gestaltetes Material. Etwas weniger als die Hälfte setzt auf Medien wie Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen, und nur ein Drittel verwendet anerkannte Schulbücher.

Angst vor Parteiwerbung

Bei den Inhalten, die die Lehrer vermitteln wollen, kristallisierten sich folgende Schwerpunkte heraus: Konfliktlösung, kritisches und unabhängiges Denken sowie die Fähigkeit, eine eigene Meinung zu vertreten. Auch die Erziehung zu Toleranz und Gerechtigkeit hat einen hohen Stellenwert. Umgekehrt gelingt es den Lehrern nur mäßig, die Mitgestaltung und Mitbestimmung des Unterrichts durch die Schüler zu fördern und schuldemokratische Prozesse zu begleiten.

Ein Teil der Lehrer setzt das Unterrichtsprinzip ambitioniert um: Sogar in der Volksschule gibt jeder dritte Befragte an, Politische Bildung häufig zu unterrichten. Weitere zwei Fünftel tun das manchmal. Auch Ängste gibt es im Unterricht: 17 Prozent der Volksschullehrer befürchten, dass es unmöglich sei, politische Bildung objektiv zu gestalten, ein Viertel hält sie für zu kompliziert und jeweils etwas mehr als ein Drittel hält die Kinder für zu jung bzw. hat Angst, dass es als Parteiwerbung in der Schule genützt werden könnte.

Unmittelbar im Anschluss an die Präsentation der Studie wurden am Donnerstag erneut Rufe nach der Einführung eines eigenen Unterrichtsfachs Politische Bildung laut. Die Arbeiterkammer fordert die rasche Umsetzung der im Regierungsprogramm angekündigten Pflichtmodule. Langfristig brauche es auch ein eigenes Schulfach. Im Vorjahr forderte dies bereits ein Bündnis von insgesamt 34 Jugend- und Schülerorganisationen. (rovi)

IM DETAIL

Derzeit ist Politische Bildung kein eigenes Fach, es ist lediglich seit 1978 als eines von zwölf Unterrichtsprinzipien verankert. In der vierten Klasse AHS und NMS, in der AHS-Oberstufe und den berufsbildenden Schulen wird sie außerdem verpflichtend in Fächern wie Geschichte oder Recht mitunterrichtet.

Aktuell wird Politische Bildung allerdings von vielen Seiten auch als Unterrichtsfach gefordert. Im Koalitionspakt ist zumindest festgelegt, dass Politische Bildung ab der sechsten Schulstufe im Geschichtsunterricht ein Pflichtmodul werden soll. Außerdem soll schulautonom auch ein eigenes Fach eingerichtet werden können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2014)

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