Akademisierungswahn? "Auch eine Art Lifestyle, an die Uni zu gehen"

Thomas Mayr
Thomas Mayr(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Thomas Mayr vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft über Akademisierungswahn und (fehlende) Attraktivität von Berufsbildung.

Die Presse: Jüngste Zahlen zeigen, dass nicht nur Gymnasiasten mehrheitlich ein Studium beginnen, sondern auch fast 60 Prozent der Absolventen der berufsbildenden höheren Schulen. Ist der Einstieg in den Beruf nach HTL oder HAK nicht attraktiv genug? Oder haben sie keine Lust auf einen Job?

Thomas Mayr: Die Jobmöglichkeiten gäbe es. Keine Lust auf einen Job zu haben könnte es insofern schon treffen. Es ist natürlich auch eine Art von Lifestyle, an die Uni zu gehen. Primäres Motiv ist aber wohl die Höherqualifizierung oder der Umstieg in einen anderen Bereich. Und dafür qualifiziert die BHS mit der Matura auch.

Erfüllen die BHS so noch die Aufgabe, die sie eigentlich haben?

Ja. Der BHS-Abschluss ist eine Doppelqualifikation und der direkte Berufseinstieg funktioniert, besonders bei den HTL. Das spiegelt sich dann auch im Einkommen wider: Das bestverdienende Viertel der BHS-Absolventen verdient mehr als die Hälfte der Hochschulabsolventen.

Das muss man aber wohl differenziert sehen.

Natürlich, denn das geht über alle Berufsfelder hinweg. Und gerade bei Hochschulabsolventen ist die Streuung je nach Bereich extrem groß, was den Verdienst betrifft.

In Deutschland fordert die Wirtschaft dringend einen Stopp der Akademisierung. In Österreich beginnen laut Statistik 46 Prozent der 18- bis 21-Jährigen ein Studium. Sind das zu viele?

Bisher hat sich die Bildungsexpansion auf dem Arbeitsmarkt gut gefügt. Aber ein ausschließlicher Fokus auf Hochschulbildung ist nicht im Sinne der Wirtschaft – und er ist auch nicht im Sinne der jungen Leute. International sieht man, dass man damit nicht gut fährt – beispielsweise in Spanien mit seiner extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit.

Ist dieser Trend zur Akademisierung also eine Gefahr?

Der Akademisierungswahn, wie er in Deutschland diskutiert wird, ist dann eine Gefahr, wenn man die Berufsbildung vernachlässigt. Und diese Gefahr besteht. Ich befürchte, dass, wenn wir den Weg weitergehen, den viele Staaten vor uns gegangen sind, es auch in Österreich ähnlich enden könnte.

Man kann junge Leute ja nicht dazu zwingen, sich gleich einen Job zu suchen.

Solange die Politik sich so positioniert, den Unis nur in ganz wenigen Fächern Zulassungsverfahren zu ermöglichen, darf man sich auch nicht wundern, dass die jungen Leute diese Möglichkeit wahrnehmen. Das Problem ist, dass die Bildungsdiskussion viel zu sehr auf die akademische Hochschulbildung fokussiert. Was wiederum dazu führt, dass die jungen Leute glauben, ein Studium sei der einzige Garant auf dem Arbeitsmarkt.

Was wäre die Alternative?

Wir müssten die eigentliche Stärke – das ist die berufliche Bildung – auf der tertiären Ebene weiterentwickeln. So, dass sie als gleichwertig neben der akademischen Bildung zu stehen kommt. Das reicht vom Meister über Fachakademien, abschlussbezogene Weiterbildungen bis zur Idee der Berufsakademien. Damit würde man die Visibilität erhöhen – und auch die Attraktivität. Die akademische Hochschulbildung ist sehr wichtig, aber weniger in quantitativer als in einer qualitativen Hinsicht. (beba)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2014)

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