Gegenwartskunst

Fake Art im Palazzo des Milliardärs

Der Koloss von Venedig schreitet indoor: Damien Hirsts „Demon with Bowl“ im Palazzo Grassi in Venedig.
Der Koloss von Venedig schreitet indoor: Damien Hirsts „Demon with Bowl“ im Palazzo Grassi in Venedig.(c) Damien Hirst And Science Ltd.
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Zwei gigantomanische Ausstellungen erzählen vom vorherrschenden sentimentalen Zeitgefühl: Damien Hirst in Venedig, Adrián Villar Rojas in New York und Bregenz. Dekadente Abgesänge auf den Mythos Abendland.

Was sind das nur für Monstrositäten von Skulpturen? Gigantomanisch und fantastisch tauchen zurzeit surreale bzw. bis zum Kitsch überzeichnete Fabel-, Mischwesen an den prominentesten Kunststandorten der Welt auf: auf dem Dach des Metropolitan Museum in New York vom argentinischen Künstler Adrián Villar Rojas und in zwei Ausstellungshäusern in Venedig vom britischen Gottseibeiuns der Gegenwartskunst, Damien Hirst.

Die Besucher der demnächst, am 13. Mai, eröffnenden Biennale Venedig werden sich am spektakulären Comeback des 51-jährigen Künstlerstars nach einem leichten Karrieretief der vergangenen Jahre nicht vorbeidrücken können. Er bespielt gleich beide Standorte des Sammlers und Christie's-Besitzers François Pinault – die Punta Della Dogana und den Palazzo Grassi – und beschert jetzt auch Venedig seinen Koloss, sogar einen Indoor-Koloss: In der Säulenhalle des Palazzo Grassi steht ein über 18 Meter hoher kopfloser „Dämon mit einer Schale“ in der Hand. Schaut aus wie Bronze, ist es aber nicht. Schaut aus wie alt, mit Meereszeugs verkrustet, ist es aber nicht. Schaut aus wie ein nackter antiker Körper, ist dafür dann aber doch einen Tick zu muskeldefiniert. Alles Fake. Fake Art at its best.

Sexy Götter aus Plastik

Denn hier ist nichts Marmor, Jade, Bronze oder Gold, sondern vor allem Plastik aus Hirsts Werkstatt. Was klingt wie der schwüle Lottotraum des Sci-Fi-Designers HR Giger, basiert auf einem nicht unterkomplexen Drehbuch mit dem Blockbustertitel: „Schätze aus dem Wrack der Unglaublichen“. Dabei geht es doch vor allem um das Glauben: nämlich, dass gerade Damien Hirst ein vor 2000 Jahren im indischen Ozean versunkenes Handelsschiff gefunden hat, „Apistos“ (Die Unglaubliche) mit Namen. Geladen hat sie einst Artefakte der großen Hochkulturen, Skulpturen von Meeresgöttern, Kriegern, seltsam sexy Göttinnen und einem Mann, der dem Künstler – welch Zufall – unheimlich ähnlich sieht (er hält die Hand eines seltsamen mythischen Wesens, Mickey Mouse genannt).

Rund 200 dieser „Schätze“ will Hirst jetzt also für uns gehoben haben. Was er tatsächlich tat, war sie erst einmal selbst zu versenken, denn einige dieser doppelt fabulierten Fabelwesen wurden wirklich für einen Monat ins Meer versenkt, der Patina wegen. Und der coolen Unterwasserfotos einer fiktiven Bergung wegen, die den Besuchern die Fantasie durchgehen lassen sollen. Diese sprengt dann auch in alle Richtungen los – manche finden das monströse Unterfangen, das die teuerste Ausstellung eines lebenden Künstlers zu sein verspricht, reines Siegerkunst-Geplänkel für Oligarchen. Die anderen, vor allem englische Kritiker, lesen darin eine Art Allegorie darauf, was Menschen sich heute von Kunst erwarten: dass sie alt ist, geheimnisvoll, unterhaltsam, überwältigend, schön, teuer – oder aber auch gefälscht.

„Das Theater des Verschwindens“

Was heißt schon „echt“ und „wahr“ und „zeitgenössisch“ in Zeiten des 3-D-Druckers? Auf mehreren Ebenen matcht zeitgleich ein anderes, ähnlich gigantomanisches künstlerisches Unterfangen Hirsts Comeback: Der jüngere argentinische Künstler Adrián Villar Rojas (* 1980) hat seinen mehrteiligen Zyklus „The Theater of Disappearence“ gestartet, der gerade das Team des Kunsthauses Bregenz auf Trab hält, das die aufwendigste Ausstellung seiner Geschichte stemmen muss; die Eröffnung wurde eine Woche nach hinten verschoben, Tonnen von Materialien, Marmor, Gold, Glas, Pflanzliches, werden herangeschafft, um auf vier Stockwerken ein dekadentes Schauspiel vom Entstehen und Verschwinden unserer Kultur zu zelebrieren, mit postapokalyptischem Abschluss. Während die New Yorker ein vergleichsweise lukullisches Sunset-Dinner-Erlebnis von Rojas serviert bekommen haben, gerade eben, auf dem Dach des Metropolitan Museum: Eine riesige Szenerie aus neun weißen Tischen samt Stühlen, auf denen und um die herum sich quer durch die Jahrhunderte Kunstgeschichte abspielt: Aus dem Weiß der Tischflächen tauchen riesige Buddha-Köpfe auf, es liegen mittelalterliche Grabfiguren in aller Grandezza darauf, oder modernes Tafelzeug, Äffchen, Totenköpfe etc. Hundert Werke aus der Metropolitan-Sammlung sind hier eingegangen in diese neun Stillleben und 16 schwarzen Mischwesen, die in ihrer Sci-Fi-Archaik an Hirsts Fabelwelt erinnern. Allerdings hat Rojas seine schon mit dem 3-D-Drucker gedruckt.

Die dekadenten, kulturpessimistischen Gigantomanien von Hirst und Rojas drücken ein Zeitgefühl aus, das viele zu beherrschen scheint: das sentimentale Gefühl, dass die abendländische Kultur, wie wir sie kennen, an ein Ende gekommen ist. Dass der Dritte Weltkrieg kurz bevorsteht bzw. wir uns schon in ihm befinden. Also versammelt man sich an der Hand der Künstler zum letzten fulminanten Aufgebot all der Mythen, die unsere Zivilisation im mittlerweile musealen Verständnis ihrer selbst ausmachen – von Pompeji zur Psychoanalyse zum Kapitalismus, untermalt von Melancholie, Brüchigkeit und Zynismus.

Damien Hirst: in Venedig bis 3. Dezember.
Adrián Villar Rojas: im Metropolitan Museum New York bis 29. 10., im Kunsthaus Bregenz von 13. 5. bis 27. 8.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2017)

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