In diesem Wien ist der Teufel los

Die türkischstämmige Taxlerin Özge (Violetta Schurawlow) beobachtet einen Serienmörder – und landet dadurch selbst auf seiner Liste.
Die türkischstämmige Taxlerin Özge (Violetta Schurawlow) beobachtet einen Serienmörder – und landet dadurch selbst auf seiner Liste.(c) Luna Film
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Wuchtige Action, grelle Ästhetik und krasse Gewalt: Stefan Ruzowitzkys neuer Thriller „Die Hölle“ will dem heimischen Kino Feuer unterm Hintern machen. Spektakulär!

Der Blick durch die verregnete Windschutzscheibe des Taxis fällt auf nassen Asphalt und träge Autoströme, rot-blau-gelbe Lichtflecken vermengen sich zu einem dumpfen Neonteppich, auf der Tonspur wabert ein nebliges Saxofon. Doch am Steuer sitzt nicht „Taxi Driver“ Travis Bickle, sondern die junge Türkin Özge (Violetta Schurawlow); und die abgewrackte Stadt, deren Konturen draußen vorbeirinnen, heißt nicht New York, sondern Wien. Und Wien, das ist „Die Hölle“ – zumindest in Stefan Ruzowitzkys gleichnamigem Thriller.

Jede Hölle hat ihren Teufel. Hier ist es ein Schlitzer, der sich seine weiblichen Opfer im Rotlichtmilieu Ottakrings sucht und mit heißem Öl übergießt, bevor er sie tötet. Nach einer aufreibenden Nachtschicht erspäht ihn die Taxlerin Özge auf frischer Tat durchs Klofenster zum Lichthof: ein drohender Umriss im alptraumhaften Magenta-Schein, ein Schatten, der zurückstarrt. Von nun an steht sie auf seiner Liste. Aber sie ist kein schutzloses Lamm: Um auf harten Grätzlpflastern zu überleben, braucht man dicke Haut. Und Özge hat sich abgehärtet bis zur Undurchdringlichkeit, führt ein Leben in permanenter Kampfstellung. Nicht nur beim Thaiboxen, wo sie oft über die Stränge drischt. Auch im Umgang mit Freunden und Verwandten gibt sie sich kalt und konfrontativ. „Du bist nur gut im Zuschlagen und Einstecken, mehr kannst du nicht“, stichelt ihr Bruder.

In der finsteren Welt des Films klingt das fast wie ein Kompliment. Versehrt und verpanzert sind hier alle: der Kriminalbeamte Christian Steiner mit seiner rassistisch-sexistischen Tough-Guy-Fassade (Tobias Moretti variiert im Grunde seine böse Polizistenrolle aus „Das ewige Leben“) ebenso wie Özges Chef Samir (Robert Palfrader), der von seiner jungen Frau betrogen wird. Oder die Familie der Heldin, deren erzkonservativer Haushalt wirkt wie eine psychologische Folterkammer.

Salto in den Donaukanal

Dieses deprimierende Sittenbild liefert eine gute Kontrastfolie für Ruzowitzkys ruppige Genre-Eskapaden. In erster Linie will „Die Hölle“ dem deutschsprachigen Kino Feuer unterm Hintern machen, mit wuchtiger Action, greller Ästhetik und (relativ) krasser Gewalt. Als richtiger Mann für den Job hat sich der oscarprämierte Regisseur schon mit Arbeiten in Österreich („Tempo“), Deutschland („Anatomie“) und den USA („Deadfall“) empfohlen. Und handwerklich hat auch sein jüngstes Werk einiges zu bieten. Die erste Hälfte erinnert mit ihrer schummrig-schmuddeligen Atmosphäre, mit den voyeuristischen Suspense-Szenarien und brutalen Messermorden an Klassiker des italienischen Giallo-Thrillers der Sechziger und Siebziger. Wenn sich der Übeltäter heimlich aus einer dunklen Ecke schält, wenn plötzlich ein grotesk verzerrtes Auge als Schockeffekt im Türspion erscheint, dann denkt man an Dario Argentos „Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ oder Sergio Martinos kultigen „Killer von Wien“ (wobei das Rätseln um die Identität des Verbrechers in „Die Hölle“ eher nebensächlich ist).

Auch beim Spektakel lässt sich der Film nicht lumpen. Besonders eindrucksvoll: eine dramatische Autofahrt durch den ersten Bezirk, die nach mehreren Karambolagen mit einem Donaukanal-Salto der Protagonistin endet – dass Ruzowitzky überwiegend auf reale Drehorte setzt, ist ihm allgemein hoch anzurechnen. Die usbekischstämmige Berlinerin Schurawlow meistert sämtliche Actionherausforderungen mit Bravour, auch wenn ihr unablässiger Brutaloblick manchmal an Selbstparodie grenzt.

So weit, so schnörkellos. Nur vertraut der Film irgendwann seiner eigenen düsteren Kraft nicht mehr, hellt sich (ganz buchstäblich) auf und driftet unmerklich Richtung TV-Dramaturgie, mit berechtigter, aber überdeutlicher Fundamentalismuskritik und psychologischer Ausbuchstabierung: wenn man erfährt, dass der hantige Kommissar Steiner sich zuhause liebevoll um seinen dementen Vater kümmert, macht das seine Figur nicht komplexer, sondern bloß weniger widerborstig. Und dass Özge eine starke, unabhängige Frau ist, begreift man auch ohne Fingerzeig in jeder zweiten Szene. Doch das sind Kleinigkeiten, die man gern in Kauf nimmt – solange es die verschütteten Kohlen der heimischen Laufbildlandschaft wieder ein bisschen zum Glimmen bringt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2017)

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