Festival Grafenegg: Schluss mit eckigem Beethoven

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Matthias Pintscher, Composer in Residence, dirigierte noch ein originelles eigenes Werk. An Beethovens Siebter Symphonie scheiterte er.

Ob der 1971 in Marl geborene Matthias Pintscher künftig auch an der Spitze der von Pierre Boulez mitgeschaffenen Lucerner Festival Academy stehen wird, wird man schon in den nächsten Tagen erfahren. Schon seit Längerem amtiert er als Boulez' Nach-Nachfolger beim Ensemble intercontemporain. Überhaupt zählt Pintscher – schon früh von Giselher Klebe, Hans Werner Henze oder Manfred Trojahn gefördert – zu den ersten Adressen, wenn es gilt, Musik der Zweiten Wiener Schule und der Gegenwart, zu deren profiliertesten Vertretern er selbst zählt, aufzuführen.

Diesen Sommer war Pintscher Composer in Residence beim Festival in Grafenegg, dirigierte dort auch einige seiner Werke. Wie zuletzt sein von den Werken Anselm Kiefers inspiriertes, groß besetztes Orchesteropus „Chute d'?toiles. Hommage à Anselm Kiefer“, das allein schon durch die originelle Idee auffällt, dem Orchester zwei Solotrompeten (exzellent: Tine Thing Helseth und Mireia Farrés) gegenüberzustellen. Konkret war es eine Kiefer-Installation, die in ihm den Wunsch reifen ließ, die dahinter liegenden bildnerischen Ideen auch musikalisch zu deuten, besser noch: zu reflektieren.

Diskussion über ein Kunstwerk

Wenn man will, lässt sich dieses Opus auch als Diskussion über ein solches Kunstwerk verstehen. Erst einmal steht, musikalisch als eine Art Paukenschlag charakterisiert, das Monument vor einem. Dann nähert man sich diesem vorsichtig, was durch filigrane Klanglichkeit dargestellt wird, um sich mit immer mehr Betrachtern mit durchaus auch heftigeren Argumenten – was hier durch virtuose Trompeteneinwürfe ausgedrückt wird – über die einzelnen Facetten dieses Kunstwerks auszutauschen.

Auf die schillernden wie irisierenden Farben dieses Stücks muss man sich einlassen, seine Darstellung hätte aber eines klanglich differenzierteren Orchesters bedurft, als es das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich ist. Wiewohl man hörte, dass der Komponist intensiv mit ihm gearbeitet hatte.

Weniger offensichtlich war das bei den beiden anderen Stücken dieses Abends. Paul Dukas populäre symphonische Dichtung „L'apprenti sorcier“ (nach Goethes Gedicht „Der Zauberlehrling“) wäre auch atmosphärisch eine ideale Einbegleitung gewesen. Aber nicht so, wie sie diesmal erklang: nämlich ziemlich ohne Charme und Verständnis für die pointierte Brillanz dieser Tondichtung, wie eine eher lustlos bewältigte Orchesteretüde.

Noch enttäuschender der finale Beethoven, die Siebte Symphonie, die Richard Wagner einst als „Apotheose des Tanzes“ beschrieben hat. Was hätte er wohl zu Pintschers eckiger, wenig präziser, sich nicht einmal ansatzweise zu apotheotischem Schwung erhebender Interpretation gesagt? Sie dokumentierte im Wesentlichen nur die Beziehungslosigkeit des Dirigenten zu diesem Werk, das eben aus mehr besteht als aus Struktur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2015)

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