Konzerthaus: Ruhe im Lärm der Zeit

Julian Barnes
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Julian Barnes las, Angela Hewitt spielte Klavier: ein Doppelabend im Zeichen von Schostakowitsch.

Timing heißt das Zauberwort: Gewusst wann, darauf kommt es an, beim Musizieren wie beim Sprechen. Das gilt genauso fürs Drumherum. War es einfach schlechtes Timing, dass Stalin ausgerechnet am 26. Jänner 1936 in die Oper gehen und Dmitri Schostakowitschs Erfolgsstück „Lady Macbeth von Mzensk“ hören wollte? Dass seine Loge auf der Seite des Schlagzeugs lag? Und dass gerade an diesem Abend die Musiker sich in einen Furor spielten und immer lauter wurden? So laut, dass in der „Prawda“ ein Verriss mit dem Titel „Chaos statt Musik“ erschien und Schostakowitsch als „Volksfeind“ um Leib und Leben fürchten musste?

Der englische Romancier Julian Barnes liebt es, seine Fantasie an historischen Figuren zu erproben und Literatur zu schreiben, die sich an die Fakten einer Biografie schmiegt, ihre Leerstellen füllt und Dunkles erhellt. Jüngst hat er sich in einem schmalen, aber präzise beobachteten und formulierten Band mit Schostakowitsch auseinandergesetzt: „The Noise of Time“, „Der Lärm der Zeit“.

Homogene Dramaturgie

Aus dessen englischem Original las er im Berio-Saal des Konzerthauses – bei einem exquisiten Abend, bei dem ihm die Pianistin Angela Hewitt eine aufmerksame Partnerin war. Das Timing stimmt: Ab heute, Samstag, spielt die Staatsoper wieder Schostakowitschs „Lady Macbeth“; im Sommer dirigiert Mariss Jansons die Philharmoniker bei einer Neuproduktion der Salzburger Festspiele in der Regie von Andreas Kriegenburg. Es stimmte auch im Wechselspiel zwischen Textauswahl, Barnes' charmantem Vortrag und Hewitts musikalischem Part. Lyrik von Lars Gustafsson, Lisel Mueller und Alastair Reid sowie eine humorvolle Szene aus Turgenjews „Vätern und Söhnen“ griffen in einer homogenen, aber nie strikt anmutenden Dramaturgie mit Klavierwerken ineinander: Präludien und Fugen von Bach und Schostakowitsch, selbstverständlich; der bei Turgenjew angesprochene Mozart – oder Sibelius, dessen selbst verordnetem Schweigen als Komponist Barnes in „The Silence“ humorvoll nachlauscht. Und auch Schostakowitsch wird als Zugabe eine heitere Szene gegönnt: Begeisterung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2017)

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