Das wirklich Peinliche an Charlotte Roche

Charlotte Roche.
Charlotte Roche.(c) Imago/APress
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Die Autorin von „Feuchtgebiete“ erzählt im neuen Roman, „Mädchen für alles“, vom Mutterfrust einer jungen Frau und sadistischer Rache an den Eltern: am Ende ekelhaft brutal und – psychologisch wie literarisch – oft peinlich simpel.

Echt pervers, diese Chrissie. Am Anfang fällt es noch nicht so auf, außer dass sie auf der Party den Hochschwangeren die mit Wodka vollgespritzten Wassermelonen andreht. Allmählich aber kommt die Erzählerin, eine frustrierte Ehefrau, Hausfrau und junge Mutter, in die Gänge. Junges Frischfleisch kommt nämlich in den Haushalt, in Gestalt der jungen, perfekt aussehenden und sich ebenso benehmenden Medizinstudentin Marie. Bald schubst die den Haushalt, kümmert sich ums Baby und lässt Chrissie ein sadistisches Spielchen mit ihr treiben – das sich schließlich zum entscheidenden Endspiel auswächst. Denn Chrissie, wird klar, hat eine Riesenrechnung zu begleichen – mit ihren Eltern. Dieses Endspiel fällt maßlos brutal und ekelhaft aus und hat, bei Roche wenig überraschend, mit den Geschlechtsorganen zu tun.

Der Ruf der Tabubrecherin wirkt nach

Seit die deutsche TV-Moderatorin Charlotte Roche im Jahr 2008 als Dreißigjährige den Roman „Feuchtgebiete“ veröffentlichte, gilt sie als Tabubrecherin. Mit „Feuchtgebiete“ war sie das auch; denn dessen weibliche Hauptfigur erzählte so offen von den als ekelhaft geltenden Seiten des Körpers, etwa den von ihm abgesonderten diversen Flüssigkeiten, sowie von ihren ausgefallenen Selbstbefriedigungspraktiken, wie man es nicht gewohnt war. Außerdem lieferte die Autorin in zahlreichen TV-Shows auch noch die brauchbare Botschaft dazu – gegen den Schönheitswahn, für einen hemmungsfreien Umgang mit der eigenen Körperlichkeit und Sexualität. Da fiel es in der allgemeinen Diskussion kaum ins Gewicht, dass der Roman zwar schlagfertig und witzig, aber sonst literarisch bescheiden ist.

Nach dem Erfolg von „Feuchtgebiete“ war der vor vier Jahren erschienene Roman „Schoßgebete“ ein Selbstläufer, auch er verkaufte sich millionenfach. Aber vom gesellschaftlich wohltuenden Tabubruch, den viele in „Feuchtgebiete“ zu finden meinten, kann da nicht so sehr die Rede sein: Eine Frau namens Elizabeth versucht, sich in einer Patchwork-Familie zurechtzufinden, ihrem Kind eine bessere Mutter zu sein als ihre es war, und sich mithilfe von Sex zu befreien. Charlotte Roche dichtete ihrer Hauptfigur auch ein Element ihrer eigenen Lebensgeschichte an: den Tod dreier Brüder bei einem Autounfall auf dem Weg zu ihrer eigenen Hochzeit. „Diese Geschichte“, sagt die Hauptfigur im Roman, habe ihr ganzes Leben ruiniert. „Mein Mann hat einen Scherbenhaufen geheiratet.“

Das ist typisch: Roches Romane sind immer Selbsttherapien aller möglichen „Traumata“ (wie etwa die Scheidung der Eltern). Nun ist Chrissie da, Mutter eines Mädchens, geistige Schwester von Helen und Elizabeth – und natürlich der Autorin, man beachte die Anfangsbuchstaben der Vornamen. Auch sie ist ein Scherbenhaufen, auch sie ein Opfer, und die Schuldigen sind klar, weil Roche es an platten Deutlichkeiten nicht fehlen lässt.

Böse Eltern, böse Gesellschaft

Chrissie ist – wie Helen und die Autorin – ein Scheidungskind. „Meine Eltern haben sich getrennt, als ich elf war, auf eine sehr schlechte Art und Weise, dass ich bis heute denke, es lag an mir.“ Sie strotzt von Schuldgefühlen: „Wenn ich etwas mach und ich weiß, mein Mann findet es nicht so gut, dann kann ich es kaum machen vor schlechtem Gewissen.“ Oder: „Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Nachtcreme nicht aufgetragen habe.“ Auch die Gesellschaft hat natürlich ein bisschen Schuld, man kennt das ja: diese Zwänge, eine perfekte Mutter zu sein, der Leistungsdruck in der Arbeit . . .

Natürlich können sich Leserinnen in Roches Figuren ganz leicht wiederfinden – aber genau das ist das Problem. Chrissies Charakter wirkt, als wäre er in einem psychologischen Proseminar an die Tafel geschrieben – und als würden auch die Leser ebendrin sitzen: Chrissie hat Flugangst – Achtung, Kontrollwahn! Chrissie macht sich mit Klebeband eine schlanke Taille – Achtung, Selbsthass . . . Stets gehe es um Sex, außer beim Sex selbst, da gehe es um Macht, zitiert sie aus der Serie „House of Cards“. Wenn sie der Studentin Marie ihren Willen aufzwingt, ist klar: Chrissie, das arme Kind, dessen Eltern nie gemacht haben, was es wollte, wird von der Gequälten zur Quälerin.

Wie immer man zu Roches Beschäftigung mit Peinlichkeiten stehen mag – das hier ist wirklich peinlich. Mehr Klischee ist nämlich kaum möglich (nur fällt das Klischee halt in der Kuschelliteratur mehr auf als hier). Auch der Tabubruch wäre vorhersehbar – kein Wunder, Chrissi schaut sich ihr Vorgehen von Serien ab – wenn er einer wäre. Aber sadistische Gewalt ist man seit Filmen wie „A Clockwork Orange“ gewohnt.

Anders als etwa in Hanekes Film „Funny Games“ wird die Gewalt hier als Akt der Befreiung dargestellt – aber außer dass die Wut eine Stimme bekommt, ist das Gegenteil der Fall. Charlotte Roches Figuren sind Scheinbefreite, die im grenzenlosen Gefühl des Opferseins um sich schlagen. Und das soll feministisch sein? Als Parodie wäre diese Chrissie interessant, aber als solche ist sie nicht gedacht. Sie ist einfach das große Opfer, wie alle Amokläufer dieser Welt. Und so ist es am Ende ganz einfach zu verstehen, dass sie ihrem Vater mit dem Pilzmesser genüsslich den Penis durchbohren muss.

Zur Person

Charlotte Roche, geboren 1978 in High Wycombe, England, kam mit einem Jahr nach Deutschland. Sie besuchte das Gymnasium in Mönchengladbach, gründete eine Garagenband, malte Bilder mit ihrem eigenen Blut. 1998 wurde sie Moderatorin bei der TV-Sendung „Fast Forward“, Harald Schmidt nannte sie „Queen of German Pop Television“. 2008 erschien ihr Roman „Feuchtgebiete“, laut eigener Aussage zu 70 % autobiografisch. 2011 folgte „Schoßgebete“, nun „Mädchen für alles“. Roche engagiert sich u. a. gegen Atomkraft und Kirchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2015)

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