„Vinyl“: Sex, Drogen, Rock 'n' Roll – und Geld

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Wie dekadent waren die Siebziger? Sehr dekadent, sagen Mick Jagger und Martin Scorsese. In diesem Sinn haben sie die TV-Serie „Vinyl“ gemacht. Jaggers Sohn James spielt einen Punk.

Er hasste Langsamkeit und Langweiligkeit, Alter und Vorsicht und Unfähigkeit, Mittelmäßigkeiten jeder Art, und er konnte es nicht ertragen, sich langsam, aber stetig nach oben arbeiten zu müssen wie alle anderen. Stattdessen zog er die ganz große Show ab, machte auf absolut wild. Er beschmierte sein Gesicht mit Make-up und trug wahnsinnige Sachen und verbarg seine Augen auf ewig hinter Sonnengläsern . . .“

Das schrieb Nik Cohn in seinem – skandalöserweise noch immer vergriffenen – Buch „Pop from the Beginning“ im Kapitel über die Rolling Stones.
Eine gute Beschreibung Mick Jaggers – könnte man glauben. Doch gemeint war Andrew Oldham, der Manager der Stones: Er habe Mick Jagger als „sein Medium, seine Traummaschine“ benutzt, schrieb Nik Cohn. Da mag etwas Wahres dran sein: Vor allem hat Oldham sich wohl danach gesehnt, selbst auf der Bühne zu stehen. Umgekehrt aber hat Jagger sich stets heftig für das Management, für die organisatorische und finanzielle Seite seiner Branche interessiert. Nicht nur aus Geldgier, die Identifikation wurzelt tiefer, sie schwang auch im Film „Performance“ mit, wo der Rockstar, den Jagger verkörperte, auf seltsame Weise mit seinem Widerpart, einem Gangster, zu verschmelzen schien. „You gentlemen, you all work for me“ ist eine Schlüsselzeile im Song „Memo from Turner“, den Jagger in „Performance“ singt.

Seine tiefe Faszination für das schnelle Geschäft am Rand zur Kriminalität hat er nun in die TV-Serie „Vinyl“ eingebracht. Unter deren Machern – neben Jagger und dem Serienprofi Terence Winter – ist auch Regisseur Martin Scorsese, von dem ebenfalls einiges Interesse für anrüchige Geschäfte („Goodfellas“, „Gangs of New York“) belegt ist, genauso wie eine Affinität zu großem Pop: Nach The Band und Bob Dylan hat er (in „Shine a Light“, 2008) die Rolling Stones würdig gefeiert.

Nun also die zweite Ebene, die Geschäftsetage des Super-Pop: die Musikindustrie, die Plattenbosse, die – das suggeriert „Vinyl“ von Beginn an – mindestens genauso cool und dekadent sind wie die Popstars, von denen sie leben, allerdings smarter. Außerdem tragen sie etwas kürzere Haare und oft eine breite Krawatte zu ihren Hemdkrägen. Die monströs sind, schließlich schreiben wir die silbernen Siebziger. Das Insert „NYC 1973“ legt sofort Ort und Zeit der Handlung fest, dann sehen wir die Hauptfigur, den Plattenboss Richie Finestra (überzeugend gestresst gespielt von Bobby Canavale), in einer Lederjacke, die dasselbe Beige wie das Interieur seines Mercedes hat, in einer kleinen Krise, was seine Nase und deren substanzielle Füllung angeht. Und dann gleich das Erweckungserlebnis: Die New York Dolls spielen in einem überfüllten Club ihren Song „Personality Crisis“.

In der Krise wächst das Rettende: Punk!

Pop-Geschichte in einer Nussschale: Die New York Dolls waren eine in ihrem schrillen Outfit fast parodistisch anmutende Glitter-Rock-Band, die Stilelemente des Punk vorwegnahm. Ein Missing Link also, das auch nicht lange lebte, Dolls-Manager Malcolm McLaren wechselte zu den Sex Pistols, die dann wirklich Punk waren, ein Gegengift gegen das Valium des altväterlichen Rock.

Auch Canavale steht dazwischen, er weiß, dass sein Geschäft die beste Zeit hinter sich hat, er spürt, dass er alt wird, dass ihn – filmisch durch Rückblenden dargestellt – die Nostalgie zu lähmen droht. Das Bürschchen von Led Zeppelin will seiner Firma nicht mehr untertan sein, der widerliche Mann vom Radio grapscht ihn väterlich an. Was könnte ihn aus der großen Krise reißen? Erraten: der Prä-Punk, entdeckt von seiner kleinen Angestellten (herzig: Juno Temple) in Form der Band Nasty Bits, deren Sänger den Nihilismus, den Canavale alt und kalt spürt, jung und heiß predigt. Es spielt ihn James Jagger, der nicht nur durch die üppigen Lippen seinem Vater ähnlich sieht – und auch den gleichen verächtlichen Blick hat wie Mick Jagger in den frühen Sechzigern. „Fighting, fucking . . . nothing“, sagt er auf die Frage, was ihm wichtig sei (im Original: „What do you give a fuck about?“); und hier passt das Four-Letter-Word, das sonst in „Vinyl“ ein bisschen gar inflationär verwendet wird.

Jedenfalls steht damit das dramatische Personal, dass nicht alle die Serie überleben werden, scheint klar. Am Ende der Pilotfolge müssen immerhin auch eine Bo-Diddley-Gitarre (stilecht in den Fernseher geschlagen) und ein Haus daran glauben, dann hört man Chuck Berry, „Rock 'n' Roll Music“. Das alte Lied: Es war einmal in der wilden Zeit.

„Vinyl“ ist ab Sonntag in der Originalfassung auf Sky Go, Sky On Demand und Sky Online abrufbar und ab 7. April, jeden Donnerstag, um 21 Uhr, auf Sky Atlantic im Original und in der deutschen Synchronfassung zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

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