Hamburger Römertopf: Hier schmort der Klang im Trockenen

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Nun wurde auch der Kleine Saal der Elbphilharmonie eröffnet: Das Ensemble Resonanz spielte unter anderem eine Novität von Georg Friedrich Haas.

Noch spielt kein Musiker auf der Bühne, sind die Sitze der Streicher leer, scheinen sich Pianist und Harfenistin verfrüht zu ihren Instrumenten verirrt zu haben. Dennoch fluten schon Klänge durch den Kleinen Saal der Hamburger Elbphilharmonie, als das Publikum eintritt. Sie sind zunächst nur schwer zu orten, dann summieren sich, typisch für den Komponisten Georg Friedrich Haas, Pendeltöne und Repetitionen zu langsam pulsierenden Farbspielen, und dann wurlt es wie in einem Bienenstock . . .

Es hat alles schon begonnen, signalisiert dieser undefinierbare Anfang ohne Einsatz. Stimmt ja: Am Mittwoch ist der Große Saal eingeweiht worden, der das Publikum im Weinbergsystem rund um das Podium anordnet; am Donnerstag war der kleine Bruder dran, der das klassische Schuhschachtelprinzip des Konzertsaals mit vielfältigen Adaptionsmöglichkeiten für Bühnenposition und Sitzverteilung vereint. Wellen und Rillen strukturieren die freundlich wirkende Wandverkleidung aus Eichenholz. Ihre Farbe und der dicke Rand oben erwecken zusammen den Eindruck, man säße in einem überdimensionalen Römertopf mit abgehobenem Deckel. Von dort oben, von einer außen umlaufenden Galerie, gießt das Ensemble Resonanz zunächst seine Streicherklänge herein, als wären es zähflüssige Glitzerströme.

Hier soll das Ensemble künftig residieren – oder zumindest seine zweite Heimstatt finden. Der demokratisch organisierte Klangkörper begreift sich gleichsam als „Experte für eh alles“, von der Alten Musik bis zur Gegenwart inklusive Elektronik, Clubkultur und ungewöhnlichen Konzertformaten. Für spezielle Projekte bleibt der „Resonanzraum“ in einem adaptierten Flakturm in St. Pauli erste Wahl.

Hommage an eine Sexualtherapeutin

Haas freilich hat sein neues Werk „Release“ dem Kleinen Saal der Elbphilharmonie mit Bedacht einkomponiert. Und wenn diese mikrotonal schillernde Hommage an die amerikanische Sexualtherapeutin Barbara Carrellas als wörtliche „Befreiung“ und „Veröffentlichung“ auch viel über ihn selbst erzählen mag, fällt die Dramaturgie des Stücks doch zusammen mit einer Art von rituellem Einzug, einer Landnahme durch das Ensemble. Denn nach und nach verlassen die Musiker die Galerie, schreiten über die Stufen zu beiden Seiten des Publikums in Richtung Podium hinab und formieren sich dort neu. Da kommt dann auch Emilio Pomárico hinzu, als wolle er nach dem Rechten sehen – und beginnt zu dirigieren. Eine Sammlung und Ordnung zuvor diffus verteilter Kräfte; ein Ensemble findet sich ein, findet sich selbst – zu Haas' Obertonkaleidoskop.

Akustisch schmort das Ganze allerdings, Römertopf hin oder her, in wenig eigenem Saft: Der Klang ist eher auf der trockenen Seite angesiedelt, belohnt die Präzision und tadelt jede Ungenauigkeit. Das ist auch der Tenor der kritischen Ohren im Großen Saal, wobei in verschiedenen Regionen offenbar deutliche Unterschiede wahrnehmbar sind – so wie auch in den berühmtesten alten Sälen.

Weitere Vergleiche sind nötig, akustische Nachbesserungen zumindest denkbar. Eine maßgeschneiderte Anpassung des Orchesterparts von Alban Bergs Sieben frühen Liedern ist jedenfalls Johannes Schöllhorn gelungen: Wortdeutlich und mit Perlmuttklang erfüllte Sandrine Piau den Gesangspart, den Pomárico und das Ensemble Resonanz nicht etwa grundierten oder umhüllten, sondern als Primus inter Pares in die Struktur einbanden. Nach der Pause stieß dann das Schlagquartett Köln mit Béla Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ hinzu, die im Adagio ihren Höhepunkt erlebte: scharf konturiert wie ein Scherenschnitt und doch zugleich farbenreich und zart.

Intendant Christoph Lieben-Seutter sagte keck, er könne derzeit sogar mit Kamm blasenden Putzfrauen die Elbphilharmonie füllen: Möge die Begeisterung anhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2017)

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