Pop

The XX: Diese Band kennt keine Coolness

Italy The XX Music Concert in Milan The English indie rock band The XX pictured on stage as they pe
Italy The XX Music Concert in Milan The English indie rock band The XX pictured on stage as they pe(c) imago/Pacific Press Agency (imago stock&people)
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Das Londoner Trio The XX begeisterte vor 7000 Besuchern in der ausverkauften Wiener Marx-Halle. Es beschwor Liebe und Freundlichkeit in einer kalten Welt.

Liebe war ihr letztes Wort: Sängerin und Gitarristin Romy Madley Croft hauchte es einmal noch, gleichsam in die Stille hinein, die einen Lidschlag herrschte, bevor der große Schlussapplaus aufbrauste. Gerade noch hatte das Publikum den letzten Refrain („being as in love, love, love“) bewegt mitgesungen – nicht skandiert, nicht geschrien, nicht gebrüllt – da war sie noch einmal, ganz kurz, allein im Bühnenlicht, zwischen den silbernen Quadern, die sich langsam drehten, die Bandkollegen und das Publikum spiegelnd . . .

Es ist dieses Wechselspiel von Einsamkeit und Eingebundensein, von Ich und Wir, in dem die Musik von The XX lebt. Es ist ein Wechselspiel, keine Konfrontation, kein Aufbegehren, schon gar keine Revolte. Kein Rock?'n'?Roll. Kein Rock. Kein Punk. Hier dringt und drängt nichts; wer hier Ich sagt, begehrt nicht nach Satisfaktion, sondern hält sich fest, hält die Welt, den Geliebten, die Geliebte fest. „Don't let it slip away“, hieß es gleich im ersten Song des Abends, „Say Something Loving“, und später, im berührenden Abschiedslied „Infinity“, in der vielleicht dramatischsten Zeile des Abends, akzentuiert durch einen für diese Band ungewöhnlich lautstarken Beckenschlag: „I can't give it up.“

Natürlich liegt es nahe – und diese kluge Band weiß das auch –, ihren Namen als programmatisches Zeichen zu lesen: für den Verlust der offensiven Männlichkeit, für das Verschwinden des Subjekts. Zumindest das Zweitere stimmt so nicht: Im Gegensatz zu Radiohead, der Band, die um die Jahrtausendwende die Auflösung des Ichs beschworen hat, verwenden Madley Croft und die zweite Stimme der Band, Bassist Oliver Sim, die erste Person Einzahl. Sie sprechen von sich, aber sie brüllen und prahlen nicht, sie produzieren sich nicht.

„A romantic for so long“

Ja, sie sind nicht einmal cool. Das ist für einen langgedienten Besucher von Popkonzerten vielleicht das Merkwürdigste an einem Konzert von The XX: Diese Band, die einzige junge Band, die heute ungefähr das Terrain abdeckt, das man einst Indie-Pop nannte, strahlt nichts von dem aus, was man Coolness nannte, von dieser Aura aus Unberührbarkeit und Unerschütterlichkeit. Sie ist auch nicht offensiv uncool. Diese Kategorien existieren nicht mehr für die drei in schlichtes Schwarz gekleideten Londoner. Und ihre Schüchternheit ist weder gespielt noch überzeichnet, sie starren nicht auf ihre Fußspitzen oder ins Leere, nein, sie fahren sich höchstens rasch durch die Haare, bemühen sich glaubhaft, freundlich zu wirken.

Freundlichkeit in einer kalten Welt. „Could I be, was I there?“, fragt Madley Croft nach einem dieser wunderbar schlichten Gitarrenmotiven: „It felt so crystal in the air.“ Kristallen klingen auch die Rhythmen, die Jamie Smith erzeugt, bis sie stolpern, brechen, schmelzen, und das tun sie oft. Faszinierend, wie dann der Bass weiterläuft, eine Rastlosigkeit beschwört, die tief im Nervensystem sitzt. Ihm und der minimalistischen Gitarre hört man die Post-Punk-Einflüsse an, zu denen sich die XX-Musiker bereitwillig bekennen: Sie haben es nicht notwendig, Inspirationen zu verleugnen, originell sind sie sowieso. Und sie nutzen diese alten musikalischen Strukturen für neue emotionale Szenarien: „I'm on a different kind of high“, singt Madley Croft in „I Dare You“ zu einem Rhythmus beschleunigten Herzschlags, „Now I'm deep in it“, erwidert Sim, „I've been a romantic for so long“, antwortet sie wiederum, und dann folgt eine jener Unisono-Passagen, in denen die beiden vertraut klingen, als hätten sie ein gemeinsames halbes Jahrhundert hinter sich. Liebevoll. Innig. Freundschaftlich. Wunderbar uncool.

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