Pop

Süße ohne Kitschverdacht

Mag erdige Grooves und Melodien aus Tagen, in denen Jazz noch vorrangig Tanzmusik war: Person.
Mag erdige Grooves und Melodien aus Tagen, in denen Jazz noch vorrangig Tanzmusik war: Person.(c) Samir H. Köck
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Houston Person, Meisterballadeur am Tenorsaxofon, gastierte 83-jährig erstmals in Österreich. Mit virilem Ton strich er im Porgy & Bess durchs unsichere Terrain der Liebe.

Man hat dem Jazz eine Dimension geraubt, indem man ihn in die Konzertsäle verfrachtete. Jazz, das war in meiner Jugend vorrangig Tanzmusik.“ Das sagt Tenorsaxofonist Houston Person, Jahrgang 1934, durchaus bedauernd nach dem Soundcheck im Wiener Porgy & Bess. Er scheut die großen Konzertsäle, liebt die kleinen Clubs, in denen er seit Anfang der Fünfzigerjahre Fühlung zu seinem Publikum aufnimmt. Er tut es mit erdigen Grooves und einem eindringlichen Balladenton, der genau jene Art von Autorität abstrahlt, die ihn berechtigt, auch sehr süße Melodien zu spielen. Auf Schallplatte praktiziert er es seit 1966.

Damals holte ihn Entrepreneur Bob Weinstock auf sein hochkarätiges Label Prestige. Er wurde zum wichtigsten Mentor Persons. Miles Davis und John Coltrane nahmen einige ihrer Schlüsselwerke für Prestige auf. Zudem versammelte Weinstock auch Musiker, die eng an der Schnittstelle von Gospel, Blues und Soul agierten und wenig an einer Erneuerung der Kunstform Jazz interessiert waren: Gene Ammons, Rusty Bryant, Sonny Criss und eben Houston Person zählten zu dieser Spezies. Wegen ihrer konservativen Haltung galten sie damals nicht als erste Garde. Ihre Qualitäten wurden erst Ende der Achtzigerjahre in der sogenannten Rare-Groove-Ära richtig gewürdigt, einer Zeit, in der der Jazz auf die Tanzflächen zurückfand.

Und auch heute ist Person Teil der zeitgenössischen Tanzmusik. Wenigstens indirekt. Kendrick Lamar, der wichtigste Rapper der Gegenwart, hat nämlich „I No Get Eye For Back“, Persons funky Adaption einer Fela-Kuti-Komposition von 1977, für sein Stück „Mortal Man“ gesampelt. Die Art von Tanz, zu der Houston Person an diesem Abend im Porgy & Bess einlud, die wäre auch mit Hauspatschen zu absolvieren gewesen. Obwohl der Veteran mit eleganten Groovern wie „Juicy Lucy“ durchaus beglückte, legte er das Schwergewicht auf Balladen.

Wie ein Abgesandter einer fernen Zeit

Schon mit dem Opener „Namely You“ demonstrierte er eindrucksvoll, wie man süße Melodien zelebrieren kann, ohne in Kitschverdacht zu geraten. Noch in den lieblichsten Passagen war sein Ton von viriler Statur. Wehe Balladen wie „Maybe You'll Be There“, die er einst oft mit seiner langjährigen musikalischen Partnerin Etta Jones gespielt hat, zogen Kraft aus all den verschlissenen Illusionen, die ein Erwachsenendasein so mit sich bringt. Und weil Person immer gerne mit Vokalisten spielte, er tat es u. a. mit Leon Thomas und Lena Horne, kam es ihm gelegen, dass die formidable Pianistin Derose zuweilen ihre helle Stimme erhob. Etwa bei Klassikern wie „You Stepped Out Of A Dream“ und „I'm Glad There Is You“, die schon die Innenwelt der Jugend der Fünfzigerjahre erwärmt haben. Und so wirkte Houston Person in seinem metalliségrauen Anzug und der rosaroten Krawatte mit den weißen Tupfen wie ein Abgesandter einer fernen Zeit, in der noch Zeit für kompliziertere Gefühle war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2017)

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