Tröstliches für kalte Tage

(c) Clemens Fabry
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Der Gewöhnlichkeit gehöre die Welt, meinte Theodor Fontane, das tangiere ihn aber nicht, solang er ein Bett und ein Glas Tee habe. Wer Abwechslung liebt, entdeckt mit Zitronenverbene und Minzestrauch Neues.

Man muss nicht zwingend zu den passionierten Teetrinkern gehören, um die verschiedensten Teepflanzen zu kultivieren. Aber es hilft. Man hat dann ein besonderes, nämlich gieriges Auge auf das Grünzeug und denkt mit jedem sich entrollenden Blättchen an dessen tröstliche Qualitäten, die sich später im Jahr entfalten dürfen. An trüben Tagen, an eisigen Abenden, in sturmgerüttelten winterlichen Nächten wird das Aroma des Sommers wieder auferstehen, sobald diese getrockneten Blätter, mit heißem Wasser übergossen, zum Leben erweckt werden. Weniger schwülstig ausgedrückt: Tee ist super.

Wobei mit „Teepflanzen“ an dieser Stelle nicht der den Kamelien zuzuordnende asiatische Teestrauch gemeint ist, sondern all die anderen duftigen Teelieferanten: Minze, Melisse, Himbeer-, Erdbeer- und Brombeerblätter, Lindenblüten, Malve, Kamille und viele mehr. „Der Gewöhnlichkeit gehört die Welt“, meinte Theodor Fontane, „Es tangiert mich aber nicht, solang ich ein Bett und ein Glas Tee habe.“

Raffiniert zitronige Aloysia. Besonders köstliche Teelieferantinnen sind zwei südamerikanische Cousinen: Die erste davon, die Zitronenverbene Aloysia triphylla, ist allgemein bekannt. Ihre aromatisch duftenden Blätter sind eine der kulinarischen Kostbarkeiten jedes Sommers. Kein anderes Blatt liefert einen zarteren, raffinierter zitronigen Duft, und auch der Geschmack der schönen Pflanze mit den hellgrünen spitzen Blättern ist legendär. In Frankreich beispielsweise ist sie seit rund 200 Jahren, als sie erstmals in Europa eingeführt wurde, fixer Bestandteil der Feinschmeckerszenerie. Dort hat ein abendlich genossener Tee aus ihren Blättern Kultstatus. Verveine nennt man diesen Tee, und man sagt ihm beruhigende Wirkung nach.

In ihrer Heimat Peru heißt die Pflanze Cedrón und wird nicht nur als Genuss-, sondern auch als Heilmittel gegen Nervosität, Schlaflosigkeit und Trägheitszustände der Verdauung verwendet. Bei uns schätzt man sie derweilen hauptsächlich für ihr großartiges Aroma, das sie in Hülle und Fülle spendet. Denn die Zitronenverbene ist bei all ihren guten Eigenschaften noch dazu eine sehr einfach zu pflegende Pflanze. Viel Sonne und Wärme – und sie wuchert.

Sie gehört, wie ihr Name bereits verrät, zur Familie der Eisenkrautgewächse Verbenaceae. In ihrem ursprünglichen Herkunftsgebiet wächst sie sich zu bis zu sechs Meter hohen Sträuchern aus. Bei guter Pflege wird sie in unseren kühleren Breiten mit bis zu zwei Metern Höhe auch recht stattlich, doch ist die Südamerikanerin nicht winterhart und muss frostfrei als Kübelpflanze überwintert werden.


Minzestrauch als Entdeckung. Weniger bekannt ist ihre zierlichere Cousine, der Argentinische Minzestrauch Lippia polystacha. Sie ist eine echte Entdeckung und erst seit wenigen Jahren im guten Fachhandel aufzutreiben. Ihre Blätter sind ebenfalls spitz-lanzettförmig, doch wesentlich kleiner, und das Aroma dieser noch dazu recht hübschen Pflanze ist schwer zu beschreiben: minzig, leicht zitronig, insgesamt herber als das der Zitronenverbene. Der Strauch ist ebenso wüchsig und liefert über den Sommer genug Teematerial auch für lange Winter. Sowohl Verbene als auch Minzestrauch kosten kein Vermögen. Wer also keinen kühlen Raum für die Überwinterung hat, oder wer ganz einfach zu faul ist, verabschiedet sich im Herbst von den Pflanzen und besorgt sich im Frühling neue. Meine vorjährige, im Topf gezogene Zitronenverbene wanderte denn auch auf den Erdhaufen, nicht ohne zuvor völlig abgeschnitten worden zu sein.


Zähe Gigantin. Der Winter war kurz und mild. Im Mai fand ich auf eben jenem Erdhaufen einen Wurzelballen, der gerade im Begriff stand auszutreiben. Winzige grüne Knospen. Nicht zu identifizieren. Ich ribbelte an einer, roch daran: Zitronenverbenenduft, intensiv wie im Hochsommer.

Die selbstredend sofort mit Rührung und schlechtem Gewissen wieder eingetopfte Pflanze wuchs sich über den Sommer zu einer Gigantin aus. Zitronenverbenentee ohne Ende. Man darf lernen und erkennen, dass Zitronenverbenen erstens eine Art entzückendes Unkraut sind und nicht umzubringen, zweitens selbst dann wieder austreiben, wenn man sie, sozusagen dem Erdboden gleichmachend, völlig abschneidet. Heuer darf sie allerdings in den Keller, denn wer sich so wacker geschlagen hat, verdient Anerkennung und Pflege.

Für den Minzestrauch gilt Ähnliches. Er verträgt Frost nur bis höchstens minus fünf Grad. Man schneidet ihn kräftig zurück, bevor er in das Winterquartier kommt, und gießt ihn nur sparsam. Denken Sie also gelegentlich an die beiden, wenn Sie am Tee nippen, und gönnen Sie ihnen ab und zu ein Tässchen Wasser.

Lexikon

Minzestrauch.
In seiner argentinischen Heimat wird er als Heilkraut gegen Magenverstimmung und zum Aromatisieren von Matetee verwendet. Warum er aber Burro genannt wird, was so viel wie Esel bedeutet, entzieht sich der europäischen Kenntnis.

Trocknen.
Erfahrungsgemäß bleibt viel mehr Aroma im Blatt, wenn es schnell und mittels Darre getrocknet wird. Aber nicht zu heiß!

Würzkraut.
Beide Pflanzen dienen experimentierfreudigen Köchinnen und Köchen selbstredend auch als Würzkraut und veredeln Süßspeisen rund um das Jahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

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