Opuntien: Brennpunkt Kaktusfeige

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Wer Kaktusfeigen ernten will, braucht die richtige Opuntien-Art, Geduld und ein wenig Fingerspitzengefühl bei der Ernte. Andernfalls sammelt man haptische und lukullische Erfahrungen, die man eigentlich lieber nicht machen möchte.

In William Friedkins atemberaubendem Thriller „The French Connection“ aus dem Jahr 1972 wird immer wieder gegessen und getrunken. In der berühmten U-Bahn-Szene beispielsweise, in der das französische Schlitzohr Alain Charnier alias Fernando Rey den genial schmierigen Jimmy – Popeye – Boyle, gespielt von Gene Hackman, durch mehrfaches Hinein- und Hinaushüpfen aus dem Waggon austrickst, nagt der Brooklyner Detective an einem knallroten kandierten Apfel, dem man die Pickigkeit förmlich ansieht. In anderen Szenen spielen Donuts, Pizzaecken, Baguettes, jede Menge Kaffee in Pappbechern und französische Luxusrestaurants allerhand Neben- und Hauptrollen.

Zwischendurch verlegt Friedkin die Handlung von New York nach Frankreich. Wir sehen die Felsenküste der Île d'If vor Marseille und Oberdrogenschmuggler Alain Charnier auf dem Weg zum entscheidenden konspirativen Treffen. Da bückt er sich plötzlich und holt mit einem Messerchen, das er als gelernter Franzose offenbar immer mit sich führt, eine Auster aus der gerade von der Ebbe freigelegten Klippe.

Der Gangster als Vorbild. Während er unter freiem Himmel seine Drogengeschäfte verhandelt, öffnet und schlürft er sie ganz nebenbei. Wunderbar! Durch diese Szene wurde er mein Vorbild, denn genau so will ich meinen Garten durchstreifen: Mit einem Messerchen, das ich als gelernter Gartenfex stets mit mir führe, und Früchten, die, lässig und wie nebenbei geerntet, weil sie überall wachsen und reifen, sofort in meinem Mund landen.

Stopp! Lange Jahre ging das gut. Dann fand ich eine von der Opuntie abgefallene Kaktusfeige. Oh wie fein, dachte ich, sie ist abgefallen, also reif, lasst sie uns gleich verkosten. Seither werde ich gefragt, ob ich mir die Lippen habe aufspritzen lassen. Nein, lautet die Antwort, denn nicht nur der sogenannte Ohrwaschelkaktus, auch seine säuerlich-köstlichen Früchte tragen Stacheln, selbst wenn man sie kaum sieht.

Es empfiehlt sich also nicht, in eine scheinbar reife, scheinbar stachellose Opuntienfrucht hineinzubeißen. Man tut das mit Sicherheit auch nur ein einziges Mal im Leben. Wenn man es denn überhaupt erwarten kann, dass diese Früchte tatsächlich reifen, was in unseren Breiten lang dauern kann. Die Opuntie, deren Opfer ich jüngst wurde, kaufte ich vor etwa drei Jahren zu eben diesem Zweck: um endlich selbst gezogene Kaktusfeigen zu ernten.

Langer Reifeprozess. Der Kaktus blühte auch vorbildlich, Hummeln und Bienen tauchten begeistert in seine gelben Blütentrichter ein und krabbelten pollenbestäubt wieder hervor. Die Früchte begannen zu schwellen und rötliche Färbungen anzunehmen, allein reif wurden sie nie. Den einschlägigen botanischen Werken kann hinsichtlich der Reifedauer der Exoten keinerlei Erkenntnis abgerungen werden. Es war nur zu erfahren, dass die Kaktusfeigen bis zu 224 Tage benötigen, um erntereif zu sein. Des Weiteren würden sie bis zu drei Jahre an den Kakteen verharren, auch wenn sie nie einen Tropfen Wasser bekommen.

Meine Opuntie wird vorbildlich versorgt: Winters steht sie kühl und hell, jedoch staubtrocken. Sommers kommt sie hinaus in die pralle Sonne und bekommt Regenwasser, wenn das magere Substrat ausgetrocknet ist. Die Früchte schwellen, färben sich prachtvoll rot – allein sie reifen nie. Im Fall der nun abgefallenen und unvorsichtigerweise verkosteten Frucht war anzunehmen gewesen, dass sie das Reifestadium erreicht hatte. Doch nein. Sie war sauer und schmeckte eher schal und nach Gurke als nach Kaktusfeige.

Die besten Früchte liefert die Art Opuntia ficus-indica. Etwa 190Arten gibt es insgesamt. Schon die Azteken kultivierten die Pflanzen und züchteten nachweislich Sorten mit besonders wenig Stacheln. An meine hat offenbar nie ein Azteke Hand angelegt, denn außer Stacheln ist da nichts zu ernten.

Apropos: Die meisten Opuntien tragen nicht nur die üblichen spitzen Kakteenstacheln, deren Anblick allein schon Vorsicht im Umgang mit dem Kaktus walten lässt. Sie sind vielmehr auch mit sogenannten Glochiden besetzt, mit millimeterkleinen feinen Borsten, die Widerhaken tragen und bei der leichtesten Berührung abbrechen. Diese aus Zunge und Lippen zu entfernen macht wenig Spaß und dauert einige Tage. William Friedkins Klassiker heißt auf Deutsch übrigens „Brennpunkt Brooklyn“, beruht auf wahren Begebenheiten und räumte fünf Oscars ab.

Lexikon

Opuntien.
Die mexikanischen Kakteen liefern schmackhafte und angeblich außerordentlich gesunde Früchte in Rot, Gelb, Grün und Violett.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2015)

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