Mispeln im Sturm

Die Mispeln hängen auch dann noch am Baum, wenn die Blätter längst abgefallen sind.
Die Mispeln hängen auch dann noch am Baum, wenn die Blätter längst abgefallen sind.(c) Ute Woltron
  • Drucken

Letzte Ernte. Die seltsamsten und spätesten unter den heimischen Früchten reifen erst nach dem Frost und wachsen auf einem der hübschesten Bäume, die man in den Garten holen kann.

Der Sturm ist tagelang wie ein riesiger Kamm durch den Garten gefahren. Er hat das Totholz aus allen Bäumen gebürstet und auch ein paar größere Äste aus dem Schopf der alten Ahorne und Eschen gerissen. Er hat gewaltige Laubhaufen aufgetürmt und die Mähne der Ziergräser so durchwühlt, dass sie heuer mit Glatze über den Winter kommen müssen.

Schade, es wird also kein glitzerndes Raureifspektakel in den Ähren und Rispen geben, doch wahrlich soll nichts Schlimmeres passieren. Doch der selbst für unsere windige Gegend außergewöhnlich heftigen Generalreinigung sind leider auch viele Mispeln zum Opfer gefallen. Nicht alle, doch die meisten hat der Sturm von den Ästen gerissen, und das schmerzt ein wenig.

Denn die seltsamsten und spätesten unter den heimischen Früchten hatten sich gerade erst angeschickt, so richtig schön patzig und reif zu werden. Erst nach ein paar Frostnächten sind die goldbraunen Eschperln, Asperln – oder wie sie sonst noch genannt werden – weich und können geerntet werden. Der Geschmack ist ungewöhnlich und nicht jedermanns Sache: herb, herbstlich, säuerlich, ein wenig süß, ziemlich aromatisch und eigenartig. Wenn sich eine Art Pelzigkeit im Mund bemerkbar macht, sind die Mispeln noch nicht reif und schmecken grauenhaft.

Die Mespilus germanica, so der botanische Name, hat in den vergangenen Jahren eine kleine Renaissance erfahren, und das ist gut so. Denn der kleine Baum, der bereits in der Antike von Griechen und Römern geschätzt wurde und auch hierzulande bis in das Biedermeier hinein beliebt und verbreitet war, hat so viele Vorzüge, dass er zu Unrecht jahrzehntelang fast vergessen und nur sehr selten in alten Gärten anzutreffen war. Pflanzen Sie einen! Sie werden Ihre Mispel lieben.


Reizende Blüte. Die Bäume bleiben klein, eignen sich also auch für Vorgärten und kleinere Flächen, gedeihen auch im Halbschatten und auf kargen Böden – und sie sind sehr schön. Die Krone wächst eher breit als hoch. Die ledrigen dunklen Blätter sind leicht befilzt und sehr lang. Reizend ist auch die Mispelblüte Ende Mai, Anfang Juni, die das Bäumchen mit zahllosen großen weiß-rosa Blüten spickt.

Die kugeligen Früchte hängen auch dann noch am Baum, wenn die Blätter längst abgefallen sind. Auch das ist ein ausgesprochen aparter herbstlicher Anblick, und wenn sie denn die Chance bekommen, auch reif zu werden, lässt sich aus Mispeln allerlei Gutes kochen. Wenn Sie beispielsweise gern Quittenkäse essen, können Sie eine vorzügliche Variante aus Asperln zubereiten.

Die reifen Mispeln werden ausgedrückt, denn die Haut ist zu bockig, um verkocht zu werden. Das Mus streicht man durch ein Sieb, versetzt es mit Zucker und kocht die Masse langsam und unter ständigem Rühren so lange ein, bis sie beginnt, sich vom Topfboden zu lösen. Das geht normalerweise viel schneller als beim Quittenkäsekochen.

Erkaltet ist der Mispelkäse so hart, dass man ihn in Würfel oder Schnittchen schneiden und ihn entweder, in Kristallzucker gewälzt, wie eine Praline oder als außergewöhnlichen Begleiter von möglichst stinkendem kräftigem Käse verspeisen kann. Es gibt zwar wenig überlieferte Rezepte, also ist Experimentierfreudigkeit angesagt, doch traditionelle Verwertungsmöglichkeiten für Mispeln sind die Herstellung von Wein, Sirup, Likör, Marmelade und Gelee sowie süßsaures Einlegen in Essig und das Brennen von köstlichem Mispelschnaps.

Der möglicherweise schönste Mispelbaum der Welt steht im Garten, der einmal der meiner Urgroßeltern war. Ein knorriger und dennoch zierlich gebliebener, höchstens vier Meter hoher und fast doppelt so breiter Geselle, dessen Alter unschätzbar ist und sicher weit über die Hundert hinausreicht. Manchmal besuche ich ihn, er war schon in meiner Kindheit ein Freund, unter dem man sommers liegen und an dem man winters naschen konnte, wenn nicht die gierige Krammetzvogelmeute schneller war. Denn das ist der nächste Mispelvorzug: Die Wintervögel lieben diese Früchte.

Wer eine Mispel pflanzen will, kann aus wenigen durchwegs historischen Sorten wählen, die sich untereinander durch Fruchtgröße, Ertrag und auch den Bronzeton der Mispelhaut unterscheiden. Beliebt ist etwa die Holländische Riesenmispel mit bis zu sieben Zentimeter Durchmesser. Die Sorte Apyrena trägt kleine Früchte, hat dafür keine Kerne. Geschmacklich sind sie einander alle sehr ähnlich, die einen etwas süßer, die anderen etwas herber, doch das Mispelaroma ist so charakteristisch, dass die Unterschiede letztlich minimal bleiben.

Mespilus germanica. Der Name täuscht, die Mispel dürfte ursprünglich aus Westasien stammen, aus dem Kaukasus und Turkmenistan, doch da sie bereits in der Antike im Mittelmeerraum kultiviert wurde, lässt sich das nicht mehr genau bestimmen.

Mittelalter. Die Mispel stand damals noch hoch im Kurs, war als Obstbaum weit verbreitet und fehlte in keinem Kloster- und Bauerngarten.

Pflege. Völlig unkompliziert. Mispeln sind sowohl hitze- als auch frosttolerant und kommen mit den meisten Böden tadellos zurecht, nur zu feucht sollten sie nicht stehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.