China: Heiliger Abend in der Karaoke-Bar

(c) APA/EPA/HOW HWEE YOUNG
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Weihnachten ist seit einigen Jahren unter jungen, urbanen Chinesen en vogue: Man schmückt bunte Plastikbäume, trifft Freunde und beschenkt sich. Und danach wird wild gefeiert.

Peking. Ein zehn Meter hoher Plastikweihnachtsbaum schmückt den Eingang des Einkaufszentrums im beliebten Pekinger Ausgehviertel Sanlitun. Davor steht ein junger Mann mit verrutschtem Wattebart in rot-weißem Mantel und Nikolausmütze. Jedem vorbeigehenden Passanten ruft er ein freundliches „Ho, ho, ho“ zu. Aus einem Lautsprecher schallt in einer schieren Endlosschleife abwechselnd „Jingle Bells“ und „Stille Nacht“.

Während sich in Europa zumeist Männer älteren Jahrgangs in ein Weihnachtskostüm zwängen, sind es in China vor allem junge Männer. Und sie haben häufig ein Saxofon in der Hand. Warum das so ist, kann sich Sara Jane Ho nicht so recht erklären. Die Hongkongerin, die in Peking eine Benimmschule für reiche Chinesinnen betreibt, vermutet, dass Saxofone in China als typisch westlich angesehen werden. Und da auch Weihnachten in China ein westlicher Import ist, passt beides zusammen.

Noch vor zehn Jahren war den meisten Chinesen Weihnachten weitgehend unbekannt. Lediglich einige große Hotels hatten für ihre westliche Kundschaft bunte Christbäume aufgestellt und die Lobby mit Tannengirlanden und glitzernden Weihnachtskugeln dekoriert.

Heute sind in Städten wie Peking, Shanghai und Guangzhou schon ab Mitte November Nikoläuse, Engel und Rentiere nicht mehr wegzudenken. Innenstädte haben Weihnachtsbuden aufgebaut. Geschäfte sind dekoriert mit blinkenden Lichterketten, Lametta und funkelnden Sternen. Es gibt kaum ein Einkaufszentrum, das nicht ein Krippenspiel oder einen Christbaum aufgestellt hat.

Weihnachtsdeko boomt

„Chinesen lieben es, wenn es glitzert, glänzt und leuchtet“, sagt die Leiterin einer Pekinger Filiale des Schmuck- und Kristallglasherstellers Swarovski. Alex Chen, Konsumexperte der Beratungsfirma Cakeshop, erinnert sich, dass vor zehn Jahren noch überhaupt keine Weihnachtsartikel erhältlich waren. Dann hätten große Einzelhändler wie Carrefour oder Wallmart damit begonnen, den Verkauf von Christbaumschmuck und Weihnachtsdeko großflächig zu bewerben. „Nun sind die Regale voll davon.“ Chen glaubt, dass China schon bald zu einem der größten Absatzmärkte für Weihnachtsartikel weltweit wird. Größter Hersteller sind die Chinesen bereits.

Doch Weihnachten in China bedeutet keineswegs nur Kaufrausch und Lichterschau. Erst vor Kurzem hat Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua das Ergebnis einer Weihnachtsumfrage veröffentlicht: 90 Prozent der unter 40-jährigen Chinesen in Großstädten würden inzwischen das Weihnachtsfest feiern – und das in einem Land, in dem sich nicht einmal fünf Prozent zum Christentum bekennen.

Und doch haben die Chinesen das Weihnachtsfest nicht eins zu eins von den USA oder den Europäern kopiert, sondern ihre ganz besonderen Eigenheiten entwickelt. „Ein Familienfest ist Weihnachten in China nicht“, sagt Etikette-Expertin Sarah Ho. Und besonders besinnlich geht es am Weihnachtsabend auch nicht zu. Die zumeist jungen Chinesinnen und Chinesen treffen sich mit Freunden zum Abendessen. Es werden Geschenke ausgetauscht. Nach dem Essen geht es dann zum Karaokesingen in Bars. Oder es wird in Clubs die gesamte Heilige Nacht durchgetanzt.

Dass Weihnachten unter der rasant wachsenden Mittelschicht in China kein besinnliches Familienfest ist, sondern eine lärmende Partynacht, geht auf die vielen Chinesinnen und Chinesen zurück, die in den vergangenen Jahren in den USA oder Europa studiert haben. Allein in den USA waren im vergangenen Jahr mehr als 300.000 Chinesen an US-Unis eingeschrieben.

Während ihre US-amerikanischen oder europäischen Kommilitonen an den Feiertagen nach Hause fahren, um im Kreis der Familie ein besinnliches Fest zu begehen, haben die chinesischen Studenten diese Möglichkeit nicht. Um aber nicht allein im Wohnheim Trübsal zu blasen, verabreden sie sich mit anderen Landsmännern und -frauen zu Partys. Diese Gewohnheit haben sie nun nach China importiert.

Und doch gibt es auch in China zu Weihnachten eine besinnliche Seite. Derzeit gibt es in der Volksrepublik offiziellen Angaben zufolge etwa 19 Millionen Christen. Experten schätzen jedoch, dass die tatsächliche Zahl zwischen 30 und 80 Millionen liegt – mit rasch steigender Tendenz. Viele von ihnen seien in Untergrundkirchen organisiert, weil sie sich den staatlich kontrollierten Kirchen nicht anschließen wollen. Das wird wiederum von der chinesischen Führung nicht gern gesehen.

Christen feiern im Untergrund

Die meisten dieser Untergrundchristen lehnen zugleich Weihnachten als Konsumfest ab und haben auch nicht viel für die Partystimmung in der Weihnachtsnacht übrig. Sie gehen nach dem Weihnachtsgottesdienst lieber schnell nach Hause, um am nächsten Morgen wieder pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Angesichts der staatlichen Verfolgung, der sie immer wieder ausgesetzt sind, soll nicht unbedingt jeder erfahren, dass Weihnachten für sie immer noch ein heiliges Fest ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2014)

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