Marokko: Der Lockruf der grünen Stille

Straße in der Medina
Straße in der MedinaStefan Gruber
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Viele halten Marrakesch für die schönste Stadt Nordafrikas: wegen ihrer großartigen Kunstdenkmäler, ihrer lärmenden Suks und ihrer zahlreichen Oasen der Stille – der Parks, Gärten und Riads.

Noch schnell eine letzte Kurve um den mächtigen Feigenkaktus und dann ab ins grüne Dickicht. Sofort verschluckt der dichte Wald aus Palmen, Bambus und Bananenstauden die kleine Blaumerle. Trotz ihres blau-schwarzen Gefieders ist sie, ein Männchen, nicht mehr zu sehen – dafür aber umso lauter zu hören. Gemeinsam mit Steinsperling, Hausammer und Heckensänger stimmt sie mit ihrem hohen Tremolo ein in den Chor der Vögel, der die beruhigende Stille im Jardin Majorelle sanft untermalt. Hinter den Mauern des Parks hat der Lärm draußen auf Marrakeschs Straßen keine Chance. Nur der Ruf des Muezzins übertönt fünfmal am Tag das beruhigend meditative Gezwitscher.
Für den 17-jährigen Ben beginnt im Jardin Majorelle sein Abenteuer Marokko. In Caroline Links Filmepos „Exit Marrakesch“ lässt er sich in der Ruhe des botanischen Gartens auf die Entdeckung einer fremden Welt ein, auch wenn ihn sein Vater im Luxusambiente am Hotelpool warnt: „Manchmal ist die Fantasie spannender als die Realität.“
Marrakesch ist laut, Marrakesch ist eng, Marrakesch verwirrt. Die Oasenstadt am Fuße des Atlas-Gebirges hat noch jeden Besucher in ihren Bann gezogen. Und viele kommen immer wieder. Marrakesch ist leise, Marrakesch fasziniert, Marrakesch überrascht mit seiner Vielfalt – vielleicht mehr als viele andere arabische Städte Nordafrikas. Die grüne Stille im Rosengarten der mächtigen Koutobia-Moschee, im Menara-Garten und in den Agda-Gärten, dem ältesten Park der Stadt, der 1157 angelegt wurde, belegt eindrucksvoll Marrakeschs Ruf als Gartenstadt. Die Riads fügen sich perfekt ins Bild. Die einstigen Herrenhäuser mit ihren grünen Oasen im Patio gibt es in dieser Vielfalt nur hier. Die magische Anziehungskraft Marrakeschs auf Europäer ist auch dem Jardin Majorelle zu verdanken. Der französische Maler Jacques Majorelle hatte den Park 1923 mit Pflanzen aus allen fünf Kontinenten anlegen lassen – als kleines Merci an die Stadt, in der er binnen kurzer Zeit von der Tuberkulose geheilt wurde.

Architektonische Wucht

Majorelles Villa und Atelier bildet bis heute eine wunderbare Farbsingularität im sonst lehmroten Marrakesch. Das tiefe Kobaltblau der Fassade, das sein Farbspiel auch in Bassins, Pflanztrögen und Wasserläufen fortsetzt, steht im grellen Kontrast zum Grün der Sukkulenten, Palmen und Bougainvilleen und dem Zinnoberrot der Erde und der gefliesten Wege. Nach Majorelles Tod kaufte Yves Saint Laurent den Park, ließ ihn restaurieren und holte sich hier immer wieder Inspirationen für seine Kreationen. Saint Laurents Asche wurde im Rosengarten verstreut.
Das Grabmal der Saadier protzt dagegen mit architektonischer Wucht. Das Königsgeschlecht, das Marokko im 16. und 17. Jahrhundert regierte, hinterließ der Stadt mit seinem Mausoleum einen kulturhistorischen Schatz ersten Ranges. Erst 1920 wurde es wiederentdeckt, heute stehen die Touristen von morgens bis abends Schlange. Wer dann endlich einen Blick auf die Grabkammern der Könige und Thronfolger, der Frauen und Töchter sowie der Generäle und Minister werfen kann, wird schier erdrückt von arabischer Ornamentik der grün-weiß-schwarzen Mosaiken, in der sich die andalusische Handwerkstradition der Zeit widerspiegelt.
Draußen vor dem Grabmal holt uns lautes Geschrei in die Gegenwart zurück. „Foto, billig Foto“, krächzt der knallbunt gekleidete Alte unter seiner seltsamen kegelförmigen Kopfbedeckung mit den blau-grünen Bommeln am Rand. In ihrer auffälligen Tracht hatten die Berber aus dem Atlas-Gebirge einst als Wasserverkäufer ihr Geld verdient. Heute bleibt der lederne Trinksack leer, die kupfernen Becher werden für lautstarkes Scheppern missbraucht. Die Tarife sind klar: „1 Foto 1 Euro“ ist auf den Pappdeckel gekritzelt. Mit Wasser war Geld sicher schwieriger zu verdienen.
Für Si Moussa dürfte Geld kein Thema gewesen sein. Der Großwesir hatte sicher keine finanziellen Sorgen – wie sonst hätte er sich dieses Domizil bauen können? Der Bahia-Palast umfasst rund 8000 Quadratmeter, zahllose Patios und 160 Räume. Fast in jedem sind Fayencen, kunstvolle Marmorfliesen, fantasievolle Mosaiken und Stuck-Arabesken zu sehen. Die bunten Zimmerdecken wurden in maurischem Stil aus Zedernholz geschnitzt und liebevoll mit kleinen Details verziert. Und die stillen Innenhöfe mit ihren Bogengängen und üppigen Gärten, in denen Orangen, Hibiskus und Granatapfel blühen, bilden sozusagen den Prototyp eines Riads.

Wortkanonaden in der Medina

Rund 1500 dieser Herrenhäuser soll es in Marrakesch geben, viele von ihnen wurden restauriert und dienen als Café, Restaurant oder kleines Hotel. Die Grundkonzeption ist allen gemein: Von außen verrät nichts die architektonische Verspieltheit und erhabene Ruhe, die sich hinter mächtigen Mauern und einer meist unscheinbaren Eingangstür versteckt. Im heißen Wüstensommer fanden die Bewohner hier wohltuende Kühle, im Winter speicherten die Lehmwände die Wärme. Im Innenhof, ohne den ein Riad kein Riad ist (der Name leitet sich vom arabischen Wort für Garten ab), muss Grün dominieren, das Grün der Palmen, Oleander und Pomeranzen, in deren Geäst sich Blaumerle und Steinsperling so wohlfühlen.
Ein paar Meter weiter, im Labyrinth der Medina, ist davon nichts zu hören. Eher die auf und abschwellenden Wortkanonaden der Händler. Vom billigen T-Shirt über Taschen und Gürtel aus Kamelleder bis zu filigranen Metalllampen und edlen Teppichen reicht das Angebot. Die Orientierung fällt schwer, die Sinne kommen in den engen Gassen der Goldschmiede, der Gewürzverkäufer oder der Töpfer nicht zur Ruhe. Auch auf dem Djemaa el-Fna, der ehemaligen Hinrichtungsstätte, ist das nicht anders. Wo untertags Geschichtenerzähler, Musik- und Tanzgruppen ihre Bühne finden und Schlangenbeschwörer Kobra und Viper mit Flötenspiel betören, wird nachts an unzähligen Ständen alles gegart, was nur halbwegs essbar scheint. Auch Ben taucht in „Exit Marrakesch“ auf seiner Suche nach seinem Weg in die Freiheit ein ins Gewirr aus tausendundeiner Nacht. Und er erkennt sehr bald, dass sein Vater zumindest in diesem Punkt unrecht hatte: „Die Realität ist doch besser als die Fantasie.“

EINMAL MARRAKESCH, IMMER WIEDER MARRAKESCH

Reisezeit: Die beste Marokko-Reisezeit ist im Frühjahr oder Herbst. Die Temperaturen liegen dann zwischen 24 und 30 Grad. Im Sommer kann es in Marrakesch deutlich über 40 Grad warm werden.

Anreise: u. a. mit Flyniki (hin direkt, retour über Frankfurt oder Düsseldorf). www.flyniki.com, www.airberlin.com

Einkaufen: Wer den Kauf von Textilien auch mit einer sinnvollen Hilfe für behinderte Frauen verbinden will, sollte sich das Angebot der Kooperative Al Kawtar in der Medina ansehen. www.alkawtar.org

Veranstalter: u. a. Ruefa oder Geo Reisen. www.ruefa.at, www.georeisen.com

Unterkunft: Stilecht lässt sich Marrakesch im Le Riad Monceau erleben (www.riad-monceau.com). Neben liebevoll dekorierten Zimmern glänzt das kleine Boutique-Hotel unweit des Place Djemaa el-Fna auch mit perfekter Küche. Der maximale Luxus mit Wellness, Poollandschaft und Megapark lässt sich im Es Saadi Palace genießen. www.essaadi.com

Restauranttipp: Mit der Nouvelle Cuisine Marokkos verzaubert Mohamed Fedal, einer der aktuell angesagtesten Starköche des Landes, im Dar Moha (Vier-Gänge-Menü ca. 70 Euro). www.darmoha.ma

Literaturtipp: Marrakesch aus der Reihe Dumont direkt. Autor Hartmut Buchholz führt den Besucher in 15 Rundgängen zu den historischen und modernen Highlights der Stadt und hilft ihm, ihren Puls zu spüren (Auflage 2013, 9,99 Euro).

Weitere Infos: Marokkanisches Fremdenverkehrsamt, Graf-Adolf-Straße 59, 40210 Düsseldorf, Tel. 0211/370551, www.visitmorocco.com

Der Autor wurde unterstützt vom marokkanischen Fremdenverkehrsamt, Ryanair und dem Allgäu-Airport.

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