Tirol: In der Stille am Ende des Tales

(c) APA/BARBARA GINDL
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Ganz hinten im Lüsental sucht der Langläufer seinesgleichen, während die Skitourengeher viel Gesellschaft haben. Die Bergsteigerdörfer im Sellrain gehen den Weg eines anderen Tourismus in Tirol.

Ist doch ein Klassiker, dass ein Tal in den Alpen von sich behauptet, das schönste zu sein. Jedenfalls des Bundeslandes oder des Bezirks, zumindest der benachbarten Talschaften. Auf das Lüsental und seine Verlängerung dürften die Superlative, mit denen mancher Einheimische aufwartet, schon zutreffen, denn in diesem recht abgeschiedenen Teil der Stubaier Alpen sind die Eingriffe der Zivilisation überschaubar: Bergbahnen, Hotelburgen, Chaletdörfer, Schirmbars – Fehlanzeige. Dafür Bauernhöfe, Almhütten, Frühstückspensionen, Ferienwohnungen mit Familienanschluss. Funktionierendes Dorf- und Vereinsleben. Kirche, ein paar Gasthäuser. Der Rest ist Kulturlandschaft. Der größere Rest ist unberührte Natur.

Felsen, Zirben und die Stille

Am Talschluss bauen sich steile, felsendurchsetzte Hänge auf, die in einem schneeärmeren Winter wild gezeichnet sind. In schneereicheren führen dort und da Skispuren durch. Zackige Dreitausender rahmen das Idyll ein, dominant ist der Lüsener Fernerkogel. Zirben wachsen die Flanken hinauf. Viel Wild soll es hier geben. Daher ist es irgendwie unverständlich, dass man auf der Langlaufloipe fast allein unterwegs ist. Man möchte doch meinen, dass halb Innsbruck dieses Seitental des nahen Sellraintales stürmen sollte. So wie dies sehr wohl unter den Tourenskifahrern der Fall ist, die hier der Reihe nach auf die Gipfel aufsteigen, die nicht selten bei Lawinenmeldungen genannt werden. Aber offensichtlich sind die Tiroler loipentechnisch zu gut nahversorgt, als dass es sie in diese fantastische Natur lockt. So startet man in aller Ruhe in Praxmar, dem hochgelegenen Weiler und seinem gleichnamigen Gasthaus, gleitet sanft zum Bach Melach hinunter, lässt das alte Gasthaus des Stifts Wilten zuerst links liegen (um dann später einzukehren) und zieht seine Kilometer in aller Ruhe, wobei man die Berge auf Spuren und Wege absucht. Da hinten ginge es durchs Längental zum Westfalenhaus hinauf, dort auf den Sellraintaler Höhenweg und die im Sommer so beliebte Sellrainer Hüttenrunde.

Jagdrevier und Hochalm

Die Gegend wurde schon immer geschätzt: Kaiser Maximilian ging hier gern jagen. Da standen nur vereinzelt Schwaighöfe und Hütten in diesem Alm- und Waldgebiet der Stubaier Alpen in denen – unweit – auch das Gebiet der Kalkkögel liegt (als naturbegeisterter Besucher versteht man, warum so viele Menschen Sturm laufen, um diese Berge vom Ausbau durch Bergbahnen zu verschonen).

Und weit oben, am Übergang ins Ötztal, stand einst ganz einsam das Jagdschloss Kühtai, das heute noch von einem Spross aus der Habsburgerdynastie betrieben wird. Heute allerdings ist das Jagdschloss eingekreist von anderen Objekten und diese Hochalmzone ein Gegenstück zu den Gemeinden weiter unten: Entlang der Straße wachsen seit Jahrzehnten Hotel-um-, neu- und -zubauten, Apartmenthäuser, Skishops und Lokale stellen sich auf, gleich dahinter befinden sich die Lifte. Die hochalpine Siedlung lebt im Winter durch den Skiurlauber, im Sommer, der hier kurz ist, hat das Kühtai weitgehend geschlossen.

Dass sich die Dörfer im Sellrain ebenso wie das nahe Skigebiet entwickelt hätten, wäre in den 1970ern und 19080ern durchaus möglich gewesen. In der Ära der großen massentouristischen Erschließungen wurde auch dieses Gebiet in Betracht gezogen. Das ist zum Glück Geschichte: Nicht zuletzt wurden die drei Orte des Sellraintales – Gries, St. Sigmund und Sellrain – in den erlauchten Kreis der Bergsteigerdörfer aufgenommen. Ein Titel, den nur jene erhalten, die nachhaltigen Tourismus wirklich leben und in Einklang mit dörflicher Struktur und der Alpenkonvention bringen. Unterstützt werden sie darin vom Österreichischen wie vom Deutschen Alpenverein. In der Alpingeschichte hat die kleine Region ohnehin früh eine Rolle gespielt: Waghalsige Erstbesteigungen sind dokumentiert. Früh bauten die Sektionen alpine Stützpunkte für die Bergsteiger und Wanderer auf. Auch das Gasthaus Praxmar fand früh Eingang in die Reiseliteratur, bei der die Gemütlichkeit, Küche und Wirt gelobt wurden – was heute noch gilt. Den Schlepplift, der hier zum Haus gehörte, wurde vor Kurzem eingestellt. Aber die Gäste steigen eh lieber selbst auf.

ZUM ORT

Das Sellraintal gehört zur Tourismusregion Innsbruck und seine Feriendörfer, zu der auch das Skigebiet Kühtai zählt. Vom Sellraintal gehen mehrere Seitentäler ab, das längste ist das Lüsental, in dem auch der Weiler Praxmar mit dem Gasthaus steht.

Bergsteigerdörfer gibt es nur einige wenige in Österreich, umso größer ist das Privileg für die drei Sellraintalorte dazuzugehören. www.bergsteigerdoerfer.at, www.innsbruck.info

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2016)

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