Namibia

Stromschnellen im Busch

Klingt theoretisch extremer als die Praxis: Paddeln auf Namibias Grenzfluss Orange River.
Klingt theoretisch extremer als die Praxis: Paddeln auf Namibias Grenzfluss Orange River.Kai Althoetmar
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Der Orange River an der Grenze zu Südafrika eignet sich für Kanutouren bestens: Trinkwasser fließt durch malariafreie Zonen.

Ein lautes Platschen gefolgt von einer Schimpfkanonade: Ian ist über Bord gegangen. Jetzt steht er im seichten Fluss und schöpft mit einer Tasse das Wasser aus seinem gekenterten Kanu. Die erste Stromschnelle war völlig harmlos, kaum 500 Meter sind zurückgelegt. Vom namibischen Noordoewer an der Grenze zu Südafrika bis nach Oranjemund an der Atlantikküste sind es rund 250 Kilometer, folgt man dem Lauf des Orange River. Knapp die Hälfte davon liegt noch vor der Gruppe – im Kanu macht das vier Tage. Der 1860 Kilometer lange Strom ist eine beliebte Anfängerstrecke für Kanuten, vor allem das letzte Viertel, das durch den Richtersveld Nationalpark führt. Stromschnellen sind selten.

Früheres Land der San

Die Kühlbox und kleine Plastiktonnen sind auf die drei Mohwak-Kanus verteilt und gut festgezurrt. Die Strömung ist kaum wahrzunehmen, Armarbeit gefragt. Auf weiten Strecken ist der Oranje, wie Buren den Fluss nennen, kaum einen Meter tief. Im Gegensatz zum Fischfluss, dem größten im Halbwüstenstaat Namibia, führt der Orange River immer Wasser. In den Drakensbergen in Lesotho entspringt er, vereint sich mit dem Vaal und fließt zum Atlantik. Das Mündungsgebiet bei Oranjemund gilt als das reichste Diamantenfeld der Welt. Bis zu den spektakulären Funden 1928 war der äußerste Süden Namibias ein fast menschenleerer Halbwüstenfleck auf der Landkarte. Einst lebten hier Buschmänner, die San, die den Oranje „Großen Fluss“ nannten. Weiße und Bantu-Völker drängten sie in die Kalahari ab. Die meisten der heute noch 38.000 Buschleute Namibias kämpfen im 1970 geschaffenen Reservat „Buschmannland“ als Subsistenzbauern oder Farmarbeiter um ihr Überleben. In Südafrika leben noch etwa 4500, im gesamten Süden Afrikas geschätzte 100.000 San, allerdings nur mehr wenige als Jäger und Sammler in der Trockensavanne. Keine Menschenseele ist mehr zu sehen, keine Straße, kein Weg begleitet den Fluss. Kein Laut ist zu hören, wenn die Paddel ruhen. Das Richtersveld, eine majestätische Berglandschaft, zeichnet sich in der Ferne ab. Mit jedem Paddelschlag tauchen die Kanus tiefer in die einsame Natur ein.

Campen am Ufer

Mittagsrast im Ufergras. Corned Beef, Brot und Käse machen die Runde. Das Flusswasser kann man trinken, es ist bilharziosefrei. 25 Kilometer legt die Flotte durch ruhiges Fahrwasser zurück. Auf Nilpferde und Krokodile muss niemand achten – es gibt sie hier nicht. Eine windgeschützte Uferpartie dient als Camp. Niemand braucht ein Zelt in dieser warmen Nacht. Die Mücken sind keine Gefahr, die Gegend ist malariafrei. Der Blick ins Sternenmeer vertreibt jeden Gedanken, auch die an Leoparden und Giftschlangen, die das menschenleere Richtersveld besiedeln.

Die abenteuerlichste Passage steht bevor: Shamrock, 500 reißende Meter durch einen schluchtartigen, felsübersäten Abschnitt. „Stromschnellen!“ Aus Hunderten Metern Entfernung sind sie zu hören. Alle legen die Rettungsweste an. Jeder umklammert sein Paddel. 50 Meter breit ist der schäumende Fluss. Wellen schwappen ins Boot, das wie ein Pferd scheut. Einer verliert auf dem Rücksitz die Balance, zwei Mann gehen über Bord. Das Kanu schießt kieloben davon, die Crew kopfunter hinterher. Mit hohem Tempo geht es schutzlos flussabwärts, streckenweise mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Totaler Kontrollverlust. Kein rettendes Land in Sicht – die Uferwände sind meterhoch. Noch Minuten bleiben die Gekenterten Spielzeug des Wildwassers, ehe Paddel und Kanu eingeholt sind. Die anderen Boote sind mit Glück durchgekommen. Beim Lagerfeuer am Abend lachen alle über die Schwimmeinlage, die auch mit Brüchen hätte enden können.

Diamanten im Fluss

Die beiden nächsten Tage ist der Fluss ruhig, kleinere Stromschnellen ersparen ab und zu das Paddel. Der erste Mensch nach 70 Kilometern: ein Fischer mit Ruderboot. Mangrovenartige Bäume mit Reihern und Kormoranen säumen das Ufer, dahinter die kahlen Berge des Richtervelds. Grüne Meerkatzen springen herum. Pause auf südafrikanischer Seite. Ian, der beim Diamantenkonzern CDM arbeitet, hofft, in der Flussbiegung Hochkarätiges zu finden. Vor Millionen Jahren legte Erosion die Diamanten frei, Flüsse im Einzugsbereich des Oranje nahmen sie auf. Nach einer halben Stunde endet die Suche ohne Fund, der Fluss ruft wieder.

90 Kilometer weiter der erste Ort: Aussenkehr. Der Fluss touchiert erstmals die Autostraße. Die SWAPO, die Namibia seit der Unabhängigkeit 1990 regiert, hat hier eine Farm errichtet. Ovambos aus dem dicht bevölkerten Norden fanden hier Jobs. Die meisten leben in einfachen Stroh-/Lehmhütten. Anders die reetgedeckten, klimatisierten Chalets einer Lodge. Ein Resort liegt am Ufer, bietet Ausritte zu Pferd, Rad und, siehe da, Wildwasserkayakfahrten. Flussabwärts ist die Idylle vorbei. Farmarbeiter schwingen an der Uferböschung die Axt, die Bäume enden als Brennholz. Erosion und Verschlammen des Orange River sind programmiert. Die Realität hat uns eingeholt.

Fluss an der Grenze

Kanutouren: u. a. Felix Unite River Adventures CC, Tokai, Südafrika. Viertägige Kanutour inkl. Mahlzeiten, Guide, Rücktransport nach Noordoewer ab ca. 220 Euro, www.felixunite.com

Unterkunft, Schlauchbootverleih: Norotshama River Resort, Farm Aussenkehr, Orange River, Namibia. www.norotshamaresort.com.

Anreise nach Noordoewer: Flug nach
Windhuk oder Kapstadt, weiter mit
Mietwagen oder Fernbus wie etwa Intercape Mainliner, www.intercape.co.za bis zur Grenze bei Noordoewer.

Richtersveld Transfrontier Park: Der Nationalpark (Unesco Welterbe) teilt sich zwischen Namibia und Südafrika auf, der Orange River/Oranje bildet die Grenze. www.namibia-tourism.com, www.southafrica.net

Compliance-Hinweis: Die Reise wurde von NLW Tourismus unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.2.2017)

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