Ja, es geht uns gut. Nein, es ist nicht alles in Ordnung

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Der Staat nimmt uns in Bereichen Verantwortung und Probleme ab, in denen er nichts zu suchen hat. Und wundert sich über Passivität und Stillstand im Land.

In einem launigen Gespräch mit einem österreichischen Bankmanager hat dieser jüngst seine eigene Definition von Reichtum dargelegt. „Reichtum ist“, erzählte er, „wenn der Mann der besten Freundin weniger verdient als der eigene.“

Jetzt mag dieser Satz im 21. Jahrhundert etwas antiquiert klingen und auch ein veraltetes Frauenbild widerspiegeln. Aber im Grund erklärt er ziemlich treffend, wie Wirtschaft und vor allem Wirtschaftswachstum funktionieren. Wir definieren uns nicht an dem, was wir erreicht haben, sondern an dem, was unsere Nachbarn weitergebracht haben.

An dieser Tatsache leiden dieser Tage vor allem die österreichischen Politiker. Sie werden – nicht zuletzt von uns Journalisten – mit akribischer Penetranz darauf hingewiesen, dass Österreich im Vergleich mit anderen Ländern immer schlechter dasteht. Unser mickriges Wirtschaftswachstum von gerade einmal 0,8 Prozent ist im Vergleich zu anderen Ländern direkt beschämend. Immerhin schaffen die Iren, die sich erst mühevoll aus einer formidablen Krise samt drohendem Staatsbankrott herausgewurstelt haben, heuer vermutlich 3,6 Prozent Wachstum. Spanien und Großbritannien 2,8 Prozent und die Schweden immerhin 2,5 Prozent. Der Chefökonom der Bank Austria, Stefan Bruckbauer, formulierte es im gestern präsentierten Wirtschaftsbericht der Bundesregierung ziemlich treffend. „Der Standort Österreich ist absolut gut, relativ hat er jedoch verloren.“

Es ist eben alles relativ. Und auch, wenn es manchen Politiker mitunter nervt und Vizekanzler Mitterlehner nichts von Rankings hält: Es kann nie ein Fehler sein, sich an jenen zu orientieren, die es besser machen. Die erfolgreicher sind.

In Österreich hat man leider das Gefühl, dass wir auch deshalb an Terrain verlieren, weil wir uns an den falschen Nachbarn orientieren. Das konnte man in der Akademie der Wissenschaften, wo dieser Wirtschaftsbericht präsentiert wurde, wunderbar heraushören. Beim Small Talk war natürlich Griechenland das beherrschende Thema. Wir müssten uns nur die Bilder ansehen, von den Menschenschlangen vor den Bankomaten, von den darbenden Pensionisten, damit wir endlich begreifen, auf welch hohem Niveau wir jammern und lamentieren. So oder so ähnlich lauteten die Kommentare der Festgäste.

Unsere hohe Lebensqualität sei eben keine Selbstverständlichkeit, betonte auch Kanzler Faymann und verwies auf die Stabilität in unserem Land, die „ein Wert an sich“ sei. So schnell kann es also gehen mit dem Wohlstand und dem Selbstverständnis. Wenn der Mann unserer besten Freundin ein Grieche ist, dann ist plötzlich alles in Ordnung.


Ja, es geht uns gut. Nein, es ist nicht alles in Ordnung. Unser Problem ist, dass wir verlernt haben, mit Problemen, Rückschlägen, ja mitunter auch Ungerechtigkeiten umzugehen. Und der Staat unterstützt uns dabei auch noch. Er nimmt uns nämlich in Bereichen Verantwortung und Probleme ab, in denen er gar nichts zu suchen hat. Und dann wundert er sich, warum es hierzulande keine Gründermentalität gibt, warum Unternehmertum so negativ besetzt ist.

Mittlerweile entfallen auf den Staat 52 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung. In Deutschland sind es 44 Prozent. Es ist kein Zufall, dass jene Industrieländer die besten Wirtschaftsdaten vorweisen, deren Staatsquote unter 50 Prozent liegt. Und wir reden hier nicht von Ländern, die den Sozialstaat kaputtgespart haben, an einer „Sparneurose“ leiden, wie Infrastrukturminister Stöger es ausdrückt. Wir reden von Schweden, Deutschland oder der Schweiz.

Ein Bürokrat wird mit Steuergeld niemals so sorgsam, effizient und treffsicher umgehen wie ein Unternehmer, der bei jeder größeren Investition bis zu einem gewissen Grad seine Existenz riskiert. Keine Angst. Keiner möchte die sozialen Errungenschaften abschaffen. Und ja: Es gibt auch sehr positive staatliche Investitionen, wie die jüngste Anhebung der Forschungsprämie. Aber Wachstum erzielt man mit Eigenverantwortung, nicht mit staatlicher Bevormundung.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2015)

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