Dass Alexander Van der Bellen – „Heimat“-Spin hin, Dialekt her – die Städte für sich gewann, lag auf der Hand. Doch wieso wurde das flache Land so blau?
Von Oswald Spengler stammt die These: „Ein märkischer und ein sizilischer Bauer stehen sich näher als der märkische Bauer dem Berliner.“ Auf das heutige Österreich umgelegt: Ein Bergbauer aus Salzburg und ein Weinbauer aus dem Burgenland stehen sich wesentlich näher als einem Wiener. Beide wählen FPÖ.
Um nochmals Spengler, den Geschichtsphilosophen, zu zitieren: „Der Stadtmensch und der Landmensch sind verschiedene Wesen. Zuerst fühlen sie den Unterschied, dann werden sie von ihm beherrscht, zuletzt verstehen sie sich nicht.“
Zwei Wesen. Zwei Welten. Die einander nicht verstehen. Das ist einer der wesentlichen Schlüsse aus dieser Bundespräsidentenwahl. Das flache Land wählte überwiegend den freiheitlichen Kandidaten, Norbert Hofer. Die Städte, allen voran Wien, stimmten mehrheitlich für den grünen Kandidaten, Alexander Van der Bellen.
Nun stammen viele Städter freilich auch vom Land. Doch in der Regel tragen diese schon eine gewisse Offenheit in sich, sonst würden sie den Schritt aus dem gewohnten Nest in die unsichere, aber chancenreiche Großstadt ja nicht wagen. Wobei Österreich nur eine hat. Wien. Seit Ende der Monarchie, weil für das kleine Land zu groß, eine Welt für sich. Auch politisch.
Ohne Wien wäre Van der Bellen chancenlos gewesen. Da konnte er noch so auf „Heimat“ setzen, auf seine Tiroler Herkunft pochen, notfalls im Dialekt – Van der Bellen wird als Städter wahrgenommen. Dass ein urbaner Intellektueller wie er hier besser ankommt, liegt auf der Hand.
Wieso aber kam Norbert Hofer auf dem Land so gut an? Eine Antwort ist naheliegend. Weil er vom Land ist, dort lebt, sich von der Anmutung nicht weit vom burgenländischen Landespolitiker, der er ja war, wegbewegt hat. Neben dieser Erklärung werden aber auch noch andere geboten: Die Leute auf dem Land hätten größere Ängste, seien unzufriedener, ja zorniger – und würden deshalb FPÖ wählen.
Das stimmt allerdings nur bedingt. Viele Menschen, so das Ergebnis der Nachwahlanalysen, haben Hofer gewählt, weil sie ihn sympathischer finden. Das spricht wiederum für die Ansicht, dass die Menschen auf dem Land einfach den Nachbarn von nebenan gewählt haben.
Und damit geht auch jene These unter, die so nie ganz richtig war: dass die FPÖ nur von den zornigen Männern mit den Abstiegsängsten, den „Modernisierungsverlierern“ gewählt würde. Diese These trifft wenn dann in erster Linie für die Stadt zu – etwa auf die alten Arbeiterbezirke in Wien.
Auf dem Land hingegen bietet die FPÖ-Wählerschaft ein weit heterogeneres Bild: Da ist vom Arbeiter bis zum Angestellten, vom Bauern bis zum Anwalt alles dabei. Gerade auf dem Land ist die FPÖ auch eine Partei der Mittelschicht. Ein Blick auf blaue Wahlpartys, früher in Haiders Kärnten, heute in der Steiermark, wo die FPÖ bei den Landtagswahlen fast Erste wurde, genügt. Es sind Menschen, die durchaus gut verdienen, mit Familie und Haus im Grünen. Die allerdings mit dem Weltbild der Grünen (und anderer Linker) nicht viel anfangen: Refugees welcome, Gender Mainstreaming, höhere Steuern, viele Gebote.
Die Stärke Norbert Hofers ist natürlich auch mit der Nichtteilnahme der ÖVP an dieser Präsidentenwahl zu erklären – erst mit einem wenig zugkräftigen Kandidaten, dann mit gar keinem mehr. Wenn eine Partei auf dem Land und in dessen Strukturen verankert ist, dann ist es die ÖVP. Weswegen diese ihren Schwenk in der Flüchtlingsfrage auch weit früher als die SPÖ gemacht hat.
Auf der anderen Seite hat auch Alexander Van der Bellen auf dem Land wesentlich mehr Stimmen gewonnen, als die Grünen dort gewöhnlich bekommen. Bürgerliche VdB-Wähler hätten sich möglicherweise gefragt, wen sie da eigentlich gewählt haben, wären sie am Sonntagabend auf der grünen Wahlparty mit seinem ausgeprägt linksliberal/-alternativen Publikum gewesen.
Es geht also nicht nur ein Riss durch Stadt und Land. Sondern es gibt auch einen Graben auf dem Land selbst. Diesen zuzuschütten wird Aufgabe der bisherigen Großparteien, ÖVP und SPÖ, sein, wollen sie weiter eine tragende Rolle spielen. In diesem Land mit seinen derzeit zwei Republiken.
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(Print-Ausgabe, 25.05.2016)