Eine Lanze für das Gespür der Journalisten beim Personal

Medien sollen schuld sein an der schlechten Auswahl in der Politik. Wohl kaum. Oft erweist sich der erste negative Eindruck trotz Bemühung um Fairness als richtig.

Den Medien und Journalisten wird oft die Schuld daran zugeschrieben, dass die wirklich Tüchtigen, Seriösen und Charismatischen eine Funktion in der Politik oder politisches Engagement ablehnen. In gewisser Hinsicht ist diese Zuweisung auch berechtigt, muss selbstkritisch angemerkt werden.

Denn es hat sich – nicht nur im Boulevard, sondern auch in der Bloggerszene–eine abschreckende Wortwahl durchgesetzt. Es wird häufig nur mehr von erbärmlich, jämmerlich, dumm und idiotisch geschrieben. Kein Mensch bei Sinnen, so lautet die oft verwendete Schutzbehauptung, würde sich dem freiwillig aussetzen.

Also tragen die Journalisten mit ihrer übermotivierten Bereitschaft zur Kritik die Verantwortung für die oft als negativ beschriebene Auslese des politischen Personals? Nicht in der realen österreichischen Welt.

Es stellt sich nämlich immer wieder heraus – manchmal unmittelbar, manchmal mit Verzögerung –, dass Skepsis durchaus angebracht war. Dazu gibt es so etwas wie einen inneren „Fahrplan“: Wird eine neue Persönlichkeit auf der politischen Bühne präsentiert oder taucht sie plötzlich auf, hinterlässt sie einen ersten Eindruck. Sollte dieser nicht vorteilhaft sein, ist ein gerüttelt Maß an Selbstreflexion notwendig: nicht vorschnell urteilen, eigenen Argwohn hinterfragen, unangenehme Gefühle beiseiteschieben, spontanen Zweifel vorerst unterdrücken und hoffen, dass das aufkeimende Vorurteil nicht bestätigt wird.

Das Traurige in den letzten Jahren war nur: Kaum irgendeine Neuerscheinung hat sich die Mühe gemacht, diese Vorurteile zu widerlegen. Den jüngsten schlagenden Beweis trat die frühere Klubchefin des Teams Stronach, Kathrin Nachbaur, an, wovon sich die Öffentlichkeit bald in den Sitzungen des Nationalrats wird überzeugen können.

Bei Nachbaur, anfangs durchaus bemüht, hatte sich spontan die Vermutung eingestellt: Irgendetwas fehlt für die Politik, ohne dieses „irgendetwas“ zu Beginn genau benennen zu können. Daher versuchte man es mit der günstigsten Auslegung einer irritierenden Situation: Es wird schon! Es wurde nicht.

Zuletzt hat sie als ÖVP-Überläufer in dem Interview mit einer Zeitung, für die allerdings immer bei Interviews der Echtheitsvorbehalt anzuwenden ist, alle gesammelten Vorurteile und noch mehr mit dem Satz bestätigt: „Die Handschrift Nachbaur wird in der ÖVP sichtbar sein.“ Das zeugt von mehr Naivität oder Realitätsverlust, als die Politik erlaubt.

Mit den anderen Stronach-Deserteuren muss man sich nicht beschäftigen, sie sind unter der journalistischen Wahrnehmungsgrenze. Es sei denn, man blickt aus dem rechten Eck auf manche.

In der Erinnerung taucht dieses Gefühl der Skepsis und nachträglichen Bestätigung immer wieder auf. Da wirkt eine Episode in der FPÖ aus den Jahren 1989/1990 geradezu erfrischend. Sie war jedenfalls zeitsparend. Als das Buberl-Duo Jörg Haiders, Gernot Rumpold und Walter Meischberger, im Tandem die Bühne der Bundespolitik als FPÖ-Geschäftsführer betraten, war an den damaligen Klubchef, Norbert Gugerbauer, die Frage zu richten: Muss man die beiden wirklich ernst nehmen? Seine Antwort: Nein, die seien für die Discos bestimmt. Da war wenigstens von Anfang an klar, woran man war.

Zehn Jahre später hätte man bei FPÖ-Justizminister Michael Krüger dieselbe Frage an Haider stellen müssen. Denn schon zu Beginn seiner Amtszeit, die nur wenige Monate dauern sollte, waren starke Zweifel berechtigt. Ironie der Geschichte: Krüger gehört heute zu Frank Stronachs – nach Darstellung einiger Insider – engsten Beratern.

Es könnten noch unzählige Beispiele angeführt werden. Sie würden alle für ein Plädoyer ausreichen: Das Gespür der Medien ist bei Weitem nicht so verkümmert, wie die Öffentlichkeit glaubt. Dass es bei jemanden wie Ursula Stenzel, deren ÖVP im ersten Wiener Gemeindebezirk 3254 Stimmen bekommen hat, versagt hat, ist noch kein Gegenbeweis.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2015)

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