Polen und die KZ-Gedenkstätte Mauthausen – eine schwierige Liebe

Polen ist in und um das einstige NS-Konzentrationslager Mauthausen allgegenwärtig. Umso mehr überrascht die polnische Kritik am „Verfall der Gedenkstätte“.

Zu den bittersten Erlebnissen zählt die öffentliche Kritik von Menschen, die man als gute Freunde sieht. Sie ist, nach der Phase eines Sich-Verletzt-Fühlens und kurzer Empörung, immer mit der selbstkritischen Frage verbunden: Was habe ich falsch gemacht, dass ich nun plötzlich öffentliche Schelte einstecken muss? Im Falle der Kritik der polnischen Politik am zeitgeschichtlichen Gedenken in Mauthausen fällt diese Selbstkritik schwer.

Polen zählt – wie die USA, Deutschland und Russland – zu den treuesten Begleitern des neuen österreichischen Geschichtsverständnisses. Vertreterinnen und Vertreter Polens haben in den vergangenen Jahren ausnahmslos und mit Engagement an allen Sitzungen des Internationalen Forums Mauthausen teilgenommen.

Die enge Kooperation führte zu einer Fülle positiver Ergebnisse: Österreich finanzierte weit über 100 Zeitzeugeninterviews mit polnischen Überlebenden, zeigte in Gusen eine Ausstellung über die Vernichtung der polnischen Intelligenz in den Jahren 1939 bis 1945, lud polnische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum jährlichen Dialogforum in Mauthausen ein, bietet in der KZ-Gedenkstätte Informationen auch in polnischer Sprache und Rundgänge an und hat erst kürzlich einen Audioguide in polnischer Sprache fertiggestellt.

Die Dauerausstellung in Mauthausen verweist in vielfacher Weise auf Polen, auch durch Geschenke polnischer Häftlinge. Einer von ihnen hat dem Museum eine Dauerleihgabe gegeben: ein altes Fahrrad. Mit dem ist er, abgemagert bis auf die Knochen, nach der Befreiung von Mauthausen bis in sein Heimatland geradelt.

Polen ist in und um Mauthausen allgegenwärtig. Gerade deshalb überrascht die polnische Kritik (siehe „Presse“ vom 23. 6.) so unangenehm. Offene Briefe, in denen Österreich der „Zerstörung der historischen Vernichtungsstätten“ und der „systematischen Entfernung“ von Überresten des Konzentrationslagers „aus dem öffentlichen Raum“ beschuldigt wird, in denen „der Verfall der Stätte“ behauptet wird, überschreiten jene feine Linie, die man gerade unter Freunden sorgsam beachten sollte.

Pauschalbeschuldigungen wie diese sind angesichts der Millioneninvestitionen in die Erhaltung des Lagerkomplexes und der peniblen Erinnerungsarbeit in und um Mauthausen unberechtigt. Sie werden auch durch die Drohung, seitens der polnischen Diplomatie auf internationaler Ebene Unterschriften gegen Österreich zu sammeln, nicht nobler.

Erklärlich sind sie wohl nur aus gewissen Veränderungen in der polnischen Innenpolitik. Diese soll respektiert werden. Sie wird jedenfalls an weiteren Einladungen an polnische Überlebende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Jugendgruppen und Museumsfachleute nichts ändern. Man muss auf einen groben Klotz nicht einen groben Keil setzen.

Auch die Kritik des grünen Schulsprechers Harald Walser fällt in eine ähnliche Kategorie. Die gesetzliche Neuordnung der Gedenkstätte Mauthausen ist seit Jahrzehnten überfällig. Ausgerechnet in einer Ausgliederung eine weitere „Dominanz des schwarzen Innenministeriums“ zu sehen, verrät eher Lust zur Kritik als eine kognitive Verarbeitung der angebotenen Informationen.

Die Arbeit der Gedenkstätte Mauthausen ist ein Musterbeispiel eines neuen Umgangs Österreichs mit dem dunkelsten Kapitel der neueren Geschichte. Die Liste prominenter internationaler Besucherinnen und Besucher auf höchster politischer Ebene ist ebenso lang wie die von Jugendlichen aus aller Herren und Damen Länder.

Die neue Gedenkarbeit in und um Mauthausen wird von Jerusalem bis Washington, von den bundesdeutschen Gedenkstätten über Yad Vashem, der Israelitischen Kultusgemeinde und dem United States Holocaust Memorial Museum, einhellig gelobt. In einigen Jahren wird man auch in Österreich stolz darauf sein. Manche der heutigen mundflinken Kritiker sollten dann aber schweigen. Schämen werden sie sich wahrscheinlich nicht.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Scholz ist auch der ehrenamtliche Vorsitzende des
Internationalen Forums Mauthausen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2016)

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