Nichts zu relativieren: Sie verdienen das Kainsmal

Von Russland unterstützte Wahnsinnige schießen einen Passagierjet ab, die Hamas verwendet Kinder als Schutzschilde. Dies darf nicht auf Relativismus stoßen.

Der Zynismus der sogenannten Rebellenführer in der Ostukraine ist kaum zu überbieten. Auf die Meldung, dass „die Jungs vom Kontrollposten Tschernuchin das Flugzeug abgeschossen haben“ und dieses „in der Luft zerbrochen“ sei und „es hunderprozentig ein ziviles Flugzeug war“, fragte das Gegenüber am Telefon zurück „Na und?“.

Nach dem Absturz wird die Arbeit von Ermittlern behindert, eine betrunkene Soldateska stapelt die Leichen respekt- und würdelos einfach aufeinander, verwischt die Spuren des Absturzes und verwendet inzwischen die gefundenen Kreditkarten der Opfer. Wollen wir diesem Treiben wirklich gleichgültig zusehen? Sollen wir tatsächlich zulassen, dass solche Taten relativiert werden und ungesühnt bleiben? Genügt es, wenn Österreich alles dazu beitragen wird, dass „alle Gesprächskanäle mit Russland offenbleiben“?

In Gaza werden Frauen und Kinder als menschliche Schutzschilde für Abschussrampen von Raketen missbraucht, mit denen gezielt israelische Zivilisten getötet werden sollen.

Viel klarer geht es nicht: Beide Sachverhalte sind eindeutig Verbrechen gegen die Menschlichkeit, noch besser gesagt – Verbrechen gegen die Menschheit, so wie es unter anderem die deutsch-amerikanische Publizistin Hannah Arendt früher schon einmal völlig richtig festhielt. Es sind Taten, die nicht nur den entsprechenden internationalen Rechtsnormen widersprechen, es sind Angriffe gegen jene Werte und Rechte, die wir für alle Menschen als zwingend gegeben erachten – oder zumindest sollten.

Wenn jedoch sogar in einer Schule der UNO in Gaza 20 Raketen gefunden werden, die dort für den Angriff auf die israelische Zivilbevölkerung bereitgehalten werden, dann hat die internationale Gemeinschaft ein Problem. Wenn diese Raketen dann nach der Sicherstellung durch die UNO an die Hamas übergeben werden, sodass sie dann erst recht wieder völkerrechtswidrig eingesetzt werden können, dann ist Feuer am Dach.

Wozu reist der UNO-Generalsekretär umtriebig im Nahen Osten herum, wenn eine seiner Teilorganisationen unter dem dringenden Verdacht steht, Partei zu sein?

Wieso werden Israelis und Palästinenser immer gleichermaßen zu einer Einstellung der Kämpfe aufgefordert, wenn doch Israel bereits mehrmals einer Waffenruhe zugestimmt und diese auch eingehalten hat, diese dann jedoch jedes Mal von der Hamas im Gazastreifen gebrochen wird?

Vor wenigen Wochen nahm die Jihadisten-Gruppe Isis weite Teile des Irak ein.

Die Kämpfe waren aber nicht nur blutig. Nein, die erste Handlung der Eroberer war, die gegnerischen Soldaten – allesamt Araber und Moslems wie sie selbst – massenweise zu exekutieren.

Nicht still und heimlich – nein, im Gegenteil –, die Isis selbst brüstete sich bei der Einnahme der irakischen Stadt Tikrit, 1700 schiitische Soldaten ermordet zu haben.

Die Suche nach der Schuld auf beiden Seiten und das Relativieren jedes Wertes sind mitunter unerträglich. Wenn ein Mord nicht mehr Mord ist, ein Verstoß gegen die allgemein gültigen Werte der Menschheit nicht mehr als solcher bezeichnet und auch sanktioniert werden kann, dann ist das die endgültige Pervertierung der ursprünglich durchaus interessanten philosophischen Denkrichtung des Relativismus.

An dieser Stelle sei der frühere Papst Benedikt XVI. zitiert, der hier sehr klare Worte fand: Es bilde sich eine „Diktatur des Relativismus“ heraus, die nichts als definitiv anerkenne und die als letztes Maß nur noch das eigene Ich und seine Wünsche gelten lasse.

Viel besser lässt sich das derzeitige Agieren der verschiedenen Gruppen und Ideologien wie jene in der Ostukraine, in Gaza oder auch jener islamistischen Gruppen in Syrien und im Irak nicht beschreiben.

Sie sollten mit dem gebrandmarkt werden, was sie verdienen: mit dem Kainsmal.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZum Autor:

Mag. Martin Engelberg ist Psychoanalytiker, Geschäftsführer der Wiener Psychoanalytischen Akademie,
geschäftsführender Gesellschafter der Vienna Consulting Group sowie
Mitherausgeber des jüdischen Magazins „NU“.
www.nunu.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2014)

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