Aus der Liste der fast verloren gegangenen Begriffe: „Schönheit“

Am Beispiel des Gemäldes „Pferd in Royalblau“: Verliert man das Empfinden von Schönheit und mit ihm das Wissen um Schönheit, gibt es keine Kunstwerke mehr.

Pferd in Royalblau“: So heißt das Gemälde für Königin Elisabeth II., das sie anlässlich ihres Deutschlandbesuches vom deutschen Bundespräsidenten Gauck erhielt. Das Bild, von der Malerin Nicole Leidenfrost aus Wedel in der Manier eines ungelenken Kindes verfertigt, zeigt Königin Elizabeth II. als Mädchen auf einem Pony. Daneben steht ihr Vater, George VI. Das Pony ist blau. König George ist gelb. Elisabeth ist rosa. Das Bild ist eine Zumutung.

Es ist nicht einmal hässlich. Hässlich ist das Gemälde „Ausschweifung“ von George Grosz, betont hässlich – obwohl man scheel angeschaut wird, wenn man das so behauptet. Vielmehr sollte man politisch korrekt sagen, dass die Heucheleien und Zügellosigkeiten, die die entwurzelte Gesellschaft der Weimarer Republik und das wilde Berlin der 1920er-Jahre kennzeichnen, den provokanten und aggressiven Pinselstrich des Sozialkritikers Grosz zu solch drastischen Darstellungen herausfordern. Mit Floskeln wie diesen umgeht man das ungeliebte Wort „hässlich“. Und wird dem Kunstwerk des George Grosz nicht gerecht.

Denn das will wirklich hässlich sein. Hässlich in dem Sinn, dass es alles Wunschdenken von Schönheit, dem Traumverlorene noch anhängen mögen, als Trugbild und Wahn entlarven will.

Ein Kunstwerk muss nicht schön sein. Aber es verlangt vom Betrachter das rechte Empfinden von Schönheit, vom, wie Kant es nannte, „interesselosen Wohlgefallen“. Denn nur wer um die Schönheit Bescheid weiß, kann dem Kunstwerk, wie schön oder wie hässlich es auch wirken will, auf Augenhöhe begegnen.

Doch wer wagt noch, von Schönheit zu sprechen? Höchstens jene, die Bäume umarmen und von der Schönheit der Natur schwärmen. Wobei ihnen nicht bewusst ist, dass die Natur selbst weder schön noch hässlich ist, sondern nur sie selbst es sind, die in Phänomenen der Natur etwas Schönes zu erkennen glauben. Mit der Isolation des Schönen von ihrer Person und der Projektion des Schönen auf die Natur begehen die der Natur Verfallenen den gleichen Fehler wie ein Materialist, der die Gedanken in den Windungen des Gehirns verorten zu können glaubt.

Ansonsten reagieren die meisten verlegen, wenn von Schönheit gesprochen wird. Kunstwerke, vor allem jene der Moderne und der Gegenwart, werden mit Epitheta wie „provokant“, „schräg“, „angriffig“, „exzentrisch“, „unkonventionell“, „eindrucksvoll“ und ähnlichem bedacht, am besten noch mit moralisierendem Unterton als „besonders wichtig für unsere heutige Zeit“ verbrämt. Aber das Publikum einer Vernissage oder einer Ausstellung wäre nachhaltig peinlich berührt, würde man bloß sagen, man empfinde beim Betrachten des Gemäldes, was „schön“ bedeutet. Nur schön, grundlos schön, und sonst nichts.

Verliert man das Empfinden von Schönheit und mit ihm das Wissen um Schönheit, gibt es keine Kunstwerke mehr. Selbst wenn gegenwärtig mehr gemalt, mehr komponiert, mehr gedichtet werden sollte als je zuvor – ohne den Begriff der Schönheit läuft diese immense Emsigkeit in die Leere.

Selbst die aus einem Lautsprecher dröhnende Kakofonie kreischender Betrunkener ist Kunst, weil niemand das Gegenteil beweisen kann. Der Maßstab fehlt, weil man an diesen nicht mehr glauben will.

So ist es kein Wunder, dass ein weder Wohlgefallen noch Schauder auslösendes, sondern ein in seiner unsäglichen Banalität grotesk nichtssagendes Bild als Geschenk für die britische Monarchin ausgewählt werden konnte. Und als sich diese nur bedingt erfreut zeigte und in erfrischender Ehrlichkeit das Lichtjahre von Franz Marc entfernte blaue Pferd als „strange“ abqualifizierte, blieb dem vielleicht auch der Schönheit längst entwöhnten deutschen Bundespräsidenten nichts anderes übrig, als sich aus der Blamage mit einem galanten Hinweis auf edle Süßigkeiten Lübecker Produktion zu retten und zu sagen: „Wenn Sie es nicht mögen, nehmen Sie das Marzipan.“

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Der Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und mit Kollegen der TU Wien das Projekt math.space im Wiener Museumsquartier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2015)

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