Über die prinzipielle Offenheit der Zukunft und des Fortschritts

Auch die kommenden technischen Errungenschaften werden uns völlig neue Panoramen für die sinnvolle Gestaltung unserer Lebenswelten bieten.

Hellmut Butterweck hat in seiner auf mein „Quergeschrieben“ von vor 14 Tagen verfassten Replik „Fortschritt der Technik ist auch kein Hoffnungsanker“ („Die Presse“ vom 19. November) scheinbar recht, wenn er auf die möglichen Gefahren verweist, die eine vierte industrielle Revolution in sich birgt: „Die steigende Produktivität, die wir dem technischen Fortschritt verdanken“, so schreibt er, „hat uns einen Zustand beschert, in dem mit immer weniger menschlicher Arbeit immer mehr und mehr von allem und jedem produziert wird.“ Dadurch drohe der Mensch überflüssig zu werden. Allzu viele würden „in soziale Netze fallen, bis diese nachgeben. Dann sind wir bald wieder dort, wo wir 1930 waren.“

Trotzdem vermute ich, dass Butterwecks Befürchtungen nicht zutreffen werden, weil sie auf einer Extrapolation des derzeit bestehenden sozial- und arbeitspolitischen Gefüges beruhen. Tatsächlich dürften uns die kommenden technischen Errungenschaften mit einem völlig neuen Begriff von Arbeit konfrontieren, und sie werden uns völlig neue Panoramen für die sinnvolle Gestaltung des Lebens bieten. Es liegt im Wesen der Zukunft, dass wir derzeit darüber nur spekulieren können, aber nichts Genaues wissen.

Diese prinzipielle Offenheit, die der Zukunft eigen ist, beunruhigt manche, die für viele Jahre im Voraus planen wollen. Im Kleinen mögen solche Planungen gerechtfertigt und klug sein, im Großen aber sind sie notorisch unzuverlässig. Hellmut Butterweck bedauert, dass die „unsichtbare Hand“, eine Metapher des schottischen Aufklärers und Ökonomen Adam Smith für die Selbstregulierung des Marktes, keinen Kopf besitzt, der sie lenkt. Aber dieser Kopf wäre nutzlos, ja sogar schädlich, weil seine Augen genauso wenig wie unser aller Augen in die Zukunft blicken können.

Alle Versuche von Planwirtschaft sind bisher erbärmlich an der Unberechenbarkeit der Zukunft gescheitert. So gesehen darf man Butterwecks düstere Prognosen cum grano salis mit jenen der „New York Times“ des Jahres 1894 vergleichen: Aufgrund des stetig wachsenden Verkehrs in der Stadt, bei dem Pferdekutschen das beliebteste Verkehrsmittel waren, errechnete der Redakteur, dass „in 50 Jahren jede Straße in London unter neun Fuß Exkrementen begraben sein wird“.

Und anhand von Uhren wird deutlich, welche Haken technische Entwicklungen zu schlagen imstande sind: Vor mehr als 40 Jahren kamen elektronische Armbanduhren auf den Markt, Wunderdinger, die eine schwarze Anzeigescheibe besaßen. Drückte man seitlich einen Knopf, leuchteten im fahlen roten Licht Ziffern: Die Zeit wurde digital angezeigt. Fast jeder vermutete, dass den Uhren mit Zeigern das letzte Stündlein geschlagen habe.

Tatsächlich koexistieren billige Funkuhren mit mechanischen Geräten, die auf altertümliche Weise aufgezogen werden und wie eh und je mit Zeigern die Zeit mitteilen. Letztere gelten als weitaus wertvoller, als Kleinode, und sie werden dies vermutlich – gewiss ist nämlich gar nichts – auch in Zukunft bleiben.


Trotzdem tut Vorbereitung not. In zweierlei Hinsicht ist sie zu leisten. Einerseits gilt es, dass in Österreich möglichst viele gut ausgebildete Fachkräfte an den kommenden technischen Entwicklungen aktiv und gewissenhaft teilnehmen. Ganz im Sinne des Mottos der eben 200 Jahre alt gewordenen Technischen Universität Wien: „Wissenschaftliche Exzellenz entwickeln und umfassende Kompetenz vermitteln.“

Andererseits sind die Schulen in die Pflicht zu nehmen: Sie haben angesichts der Heterogenität der Schülerschaft viel nachhaltiger als bisher für das intensive Einüben der Grundfertigkeiten eines autonomen Menschen und für eine solide Vermittlung von Bildung zu sorgen, die unabhängig von den Moden der Gegenwart ein so festes Fundament besitzt, dass die aus den Schulen Kommenden der Vagheit und den Risken der Zukunft standhalten: die Bildung in Sprache, Mathematik, Geschichte und Kunst.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker

an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und Kollegen der TU Wien das Projekt math.space im Wiener
Museumsquartier. Sein neuestes Buch: „Die Mathematik des Daseins. Eine kurze Geschichte der
Spieltheorie“,
Hanser-Verlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)

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