Helikoptereltern

Es ist anstrengend, wenn der Verstand ("Ach, die Kinder schaffen das schon!") etwas anderes sagt als das Herz ("Aber was ist, wenn nicht?").

Sie kennen diese Geschichte sicher: Die mit dem rosa Elefanten. An ihn soll man nicht denken, auf keinen Fall, also greift man zu allen möglichen Mitteln, um sich abzulenken – mit dem Ergebnis, dass einem tatsächlich überhaupt nichts mehr anderes einfällt als: Rosa Elefant. Rosa Elefant. Verflixt: Noch ein rosa Elefant.

Aber ich habe es geschafft. Nach sieben Jahren, in denen ich Semester um Semester gepredigt habe – und zwar mir und den Kindern gleichermaßen –, dass Noten keine Rolle spielen, sondern es nur darum geht, dass sie den Stoff beherrschen. Nach all den Malen, die Stephan und ich es uns verkniffen haben, die Kinder nach Schularbeiten gleich an der Haustüre zu überfallen mit der Frage: „Und? Wie war Mathe?“ Nach all den Versuchen also, nicht an den rosa Elefanten zu denken, sondern entspannt zu bleiben, habe ich es diesmal geschafft: Ich habe glatt den Zeugnistag vergessen! Er ist mir einfach nicht in den Sinn gekommen. Nicht am Morgen, als ich Marlene noch fragte, ob sie eh die Englisch-Hausübung eingepackt hat. Nicht am Vormittag, als ich über ein Thema für diese Kolumne grübelte. Erst am Nachmittag fiel es mir ein. Juhuu!


Warum Juhuu? Weil es anstrengt, wenn der Verstand („Das sind gescheite, vernünftige Kinder, die schaffen das schon“) etwas anderes sagt als das Herz („Aber was ist, wenn nicht?“). Weil es mühsam ist, keine Helikopter-Mutter zu sein, die sich über alles und jedes den Kopf zerbricht. Seit die Kinder klein sind, kämpfe ich damit, sie meine Sorge nicht spüren zu lassen. Ich habe dem Klettergerüst den Rücken zugekehrt, auf dem die vierjährige Hannah herumgeturnt ist (Verstand: „Bitte, da liegt am Boden eh Rindenmulch!“), und habe Marlene nicht zur Rede gestellt, wenn sie für 200 Meter Schulweg über zwanzig Minuten gebraucht hat (Herz: „Um Himmels willen! Da muss etwas passiert sein!“). Ich habe mich gezwungen, ihnen den Spaß zu gönnen. Sollen sie klettern! Sollen sie trödeln! Später habe ich Stephan zurückgehalten, wenn er wegen einer ungerechten Drei in die Sprechstunde gehen wollte, und er hat mich zurückgehalten, wenn ich drauf und dran war, Hannah am Morgen vor der Schularbeit noch schnell eine Rechnung zu erklären.

Marlene hat dann jedenfalls angerufen. Sie hat erzählt, was in Englisch passiert ist und was der Lorenz gesagt hat. Von Noten kein Wort. Kann sein, sie hat auch nicht mehr daran gedacht. Kann sein, sie will uns einfach auf die Folter spannen.

Post Scriptum. Die Kinder lesen übrigens meine Kolumnen. Sie sind mittlerweile alt genug, um von den verborgenen Sorgen ihrer Eltern zu erfahren – zumindest solange wir die beiden nicht dauernd damit nerven.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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