Wohnzimmer

Unser Wohnzimmer ist wild umkämpft, um jeden Meter Ablagefläche wird gestritten: Im Moment sieht es so aus, als hätte ich den Esstisch zurückerobert.

Meine ältere Tochter macht heuer Matura. Matura bedeutet, sie hat einen Freischein für praktisch eh alles. „Mama“, sagt sie: „Ich kann jetzt nicht, am Donnerstag ist meine letzte Französisch-Schularbeit.“ Und schon höre ich auf, sie mit meinen Vorstellungen von Frühstückstellern zu behelligen, die zarte Teenagerhände in die Geschirrspülmaschine räumen. „Mama“, sagt sie: „Ich lerne Bio!“– prompt senke ich meine Stimme und gehe ameisenleise „Aber die Handtücher!“ murmelnd aus dem Zimmer. Mittlerweile reicht es, wenn sie nur das Fach nennt – Chemie! Englisch! Mathe! – und ich bücke mich automatisch nach ihren Socken. So ist das mit Hannah.

Meine jüngere Tochter ist in der Pubertät. Das ist zwar kein Freischein für praktisch eh alles, in Wirklichkeit aber schon, ich will das hier nicht ausführen, ich habe Angst, sie kommt sonst gar nicht mehr von ihrem Hochbett herunter. Nur soviel: Wer 14-Jährige dazu bringt, ihren Kleiderschrank aufzuräumen, kann auch Pandabären dressieren. So ist das mit Marlene.

Mein Mann ist erwachsen. Erwachsen sein bedeutet: Er ist mindestens ebenso unordentlich wie die Kinder, vielleicht übertrifft er sie sogar – aber er leidet darunter. Am meisten bekümmert ihn, dass er die Bücherregale, die ich ihm vor einem Jahr in sein Arbeitszimmer gestellt habe, immer noch nicht befüllt hat, weshalb er zwischen Kisten lebt. Und dass er in seinem Chaos seine Kreditkarte verloren hat und mich nicht dafür verantwortlich machen kann.


Halbleere Joghurtbecher. Mit all dem habe ich mich abgefunden, und ich könnte mich auf den Standpunkt stellen, die drei sollen in ihren Zimmern ruhig das Chaos pflegen, solange keiner einen Fleck auf meinen Lesesessel macht oder auf meinem Nachtkastl einen halb leeren Joghurtbecher vergisst. Das Problem ist nur: Wir haben noch ein Wohnzimmer.

Und dieses Wohnzimmer ist wild umkämpft, um jeden Meter Ablagefläche wird gestritten. Zum jetzigen Zeitpunkt sieht es so aus, als hätte ich die Schlacht um den Schreibtisch verloren, woran Hannahs vorwissenschaftliche Arbeit schuld ist, den Esstisch habe ich nach Stephans ausufernder letzter Steuererklärung wieder zurückerobert, es war ein zähes Ringen über viele Wochen. Die Regale gehören mir, das Sofa samt Sofaritzen dafür Marlene. Wer die Befehlsgewalt über den Couchtisch hat, ist noch nicht entschieden: Im Moment teilen sich Marlenes Buntstifte, Hannahs Schraubenzieher, mein Nagellackentferner, eine wiederaufladbare Batterie, ein herrenloser Salzstreuer und Stephans Kreditkarte den Platz.

Wer sagt es denn, da ist sie ja.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2017)

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